Macabros 011: Im Leichen-Labyrinth
sich nicht an die Forderungen, die an ihn
gestellt worden waren. Er gab sich mit einem Ersatzstück
zufrieden.
War er deshalb so schlimm zugerichtet worden?
Wenn es um Dinge ging, die jenseitige Mächte verursachten,
dann ereigneten sich oft Situationen, die nach menschlichem Verstand
und Ermessen nicht mehr als logisch bezeichnet werden konnten.
Warum Leibold zum Handwerkszeug geworden und schließlich
ausgenutzt worden war, darauf ließ sich keine klare Antwort
geben.
Hatte man sein Leben gebraucht? Hatte man esaus seinem Körper
herausgesogen? Mit seinem Blut, seinem Fleisch – symbolisch
übernommen? Nur eine Kulthandlung? Eine Kulthandlung der
Hölle verpflichteter Wesen?
Otto Gerlich erhob sich. »Ich glaube, ich komme doch noch mit
Ihnen ins Gespräch«, knurrte er, und es schien ihm
schwerzufallen, diese Erkenntnis laut anzusprechen. »Es
wäre mir angenehm, wenn Sie die nächsten Tage in meiner
Nähe sein könnten.«
»Ich würde eher sagen, in den nächsten
Nächten, Kommissar.«
»Warum Nächte? Nachts schlafe ich.«
»Ich kriege das dumpfe Gefühl nicht los, daß Sie
hier nicht zum Schlafen kommen.«
*
Die Stunden vergingen wie im Flug.
Spuren wurden gesichert, der Friedhof wurde einigermaßen
zurechtgemacht. Keiner der Einheimischen ließ sich sehen. Es
war, als fürchteten sie die Nähe der Grabstätten.
Björn Hellmark arbeitete mit. Gerlich brauchte jeden
Mann.
Gegen zwölf Uhr traf der Polizeiarzt aus Grafenau in Kumberg
ein. Mit ihm kam ein Totenwagen.
Dr. Beimann untersuchte den alten Graubert und den angefressenen
Hans Leibold, und auch er kam zu dem Schluß, daß die
Verletzungen offensichtlich von menschlichen Zähnen
herrührten. An manchen Stellen waren deutliche Bißspuren
zu erkennen.
Graubert und Leibold wurden in Zinksärgen verwahrt und
abgefahren.
Dr. Beimann fuhr ebenfalls nach Grafenau zurück. Auch zwei
Begleiter schickte Gerlich mit.
Auf dem Weg in das Dorfwirtshaus, wo sie gemeinsam zu Mittag essen
wollten, gab Björn zu verstehen, daß er eine andere
Entscheidung getroffen hätte, wäre er dafür
verantwortlich.
Es lag etwas in der Luft. Björn spürte es, aber Gerlich
hatte dafür keine Antenne.
*
Um vier Uhr am Nachmittag kam Regina Tärser nach Hause.
Seit Stunden hielt sie sich schon in Kumberg auf. Unmittelbar nach
ihrer Ankunft um die Mittagsstunde ging sie in die Wohnung zu ihrer
Mutter. Sie erzählte, was passiert war. Ob sie eine Anzeige
gemacht hätte? Nein. Das hatte sie nicht getan. Daran hätte
sie überhaupt nicht gedacht. Und als sie jetzt auf dem Weg zu
ihrem Bauernhaus war, überlegte sie, ob sie es nachträglich
noch machen sollte.
Aber nicht nur diese Gedanken beschäftigten sie. Auch von den
seltsamen Vorfällen auf dem Dorffriedhof hatte sie schon
gehört. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich eine solche Nachricht
in dem nur wenige hundert Menschen zählenden Ort.
Die Alten taten geheimnisvoll, die Jungen wußten nicht
recht, wie sie sich verhalten sollten. Sie wußten zu wenig,
oder sie wurden durch das Verhalten der Alten angesteckt.
Auch Regina Tärser kannte die alte Geschichte.
Josef Burger hatte es wirklich gegeben. Wahrscheinlich gingen auch
etliche Morde auf sein Konto. Aber alles, was man drumherum spann,
war idiotisch und nicht wert, überhaupt darüber zu
reden.
Polizei war in der Stadt, viele Gräber waren aufgebrochen
worden. Das interessierte sie, und Regina machte den Umweg über
den Friedhof. Sie sah die frisch zugeschütteten Gräber. Sie
sah auch die tiefen Löcher in der hintersten Ecke. Die hatte man
teilweise offen gelassen. Es wäre allerdings schlecht
möglich gewesen, die herausgedrückten Särge und
halbverwesten Leichen herumliegen zu lassen. Als sie daran dachte,
wurde es ihr etwas mulmig zumute, und sie beeilte sich wegzukommen.
Die Einsamkeit, die dunklen Grabsteine und windschiefen, verwitterten
Kreuze bedrückten sie mit einem Mal.
Sie ging nach Hause und merkte nicht, daß jeder ihrer
Schritte beobachtet wurde.
Hinter dem Haus, in dem sie allein lebte, wuchs undurchdringlicher
Wald die Hügel empor.
Ziemlich weit unten stand ein Mensch, der genau sah, wie sie die
Tür aufschloß, wie sie sich hinter den Fenstern und wenig
später auch auf der sonnenüberfluteten Terrasse bewegte.
Bis in die späten Abendstunden schien hier auf diesem
höchsten Punkt weitab vom Dorf die Sonne. Von Regina
Tärsers Arbeitszimmer aus und vom Atelier konnte sie weit in das
sich zu ihren Füßen ausdehnende
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