Macabros 021: Abraxas Fluch des Magiers
der Zwischenzeit ihre Zimmer aufgesucht.
Der Portier bekam seine Augen nicht mehr zu.
»Sie ist ganz harmlos«, flüsterte Mahay und
drückte dem verdutzten Mann ein fettes Trinkgeld in die Hand.
»Damit wir sie nicht ins Gästebuch einzutragen brauchen.
Ich hab’ sie immer dabei, Mister. Sie brauchen keine Angst zu
haben. Die tut keinem Menschen etwas. Sie mag es nur nicht, wenn man
ihr in den Schwanz kneift, aber wer mag das schon, nicht
wahr?«
Der Portier schluckte. Zu einer Erwiderung war er nicht mehr
fähig. Er starrte dem Inder nach, der mit seinem Maskottchen im
Aufzug verschwand.
*
Trotz aller Aufregung und Hektik brachte er es nicht fertig, sich
gleich hinzulegen und zu schlafen.
Björn warf erst einen Blick in die Kristallkugel, um sich zu
vergewissern, ob vielleicht in seiner unmittelbaren Nähe die
zukunftsweisenden Einflüsse stärker wurden.
Weiches Licht im Zentrum der Kugel öffnete sich wie eine
Frucht, die überreif war. Strahlenförmig breitete sich der
Schein nach allen Seiten aus.
Das Licht wurde nicht heller. Es löste sich nach allen Seiten
hin in dunkle, wabernde Schatten auf.
Dann sah sich Björn selbst. Mitten im Zentrum. Gehetzt,
gejagt. Von allen Seiten her griffen gierige Schattenfinger nach ihm.
Er duckte sich, versuchte unter ihnen hindurchzulaufen – und
lief in einen neuen Schatten hinein.
Das Bild explodierte förmlich, als sein verkleinertes
Spiegelbild den Boden unter den Füßen verlor. Die
Schattenkomplexe zerrissen, wurden zu langen, zuckenden Faden, die
aussahen wie Spinngewebe und die von einem heftigen Wind auf ihn
zugetrieben wurden, die ihn einhüllten, und gegen die er sich
nicht wehren konnte. Er versank darunter. Seine Hände
stießen vergebens nach oben. Ein Berg von schwarzem Spinngewebe
fiel auf ihn herab und begrub ihn.
Hellmark löste noch immer nicht seinen Blick von dem
Geschehen, obwohl er kaum mehr etwas sah. Das Bild wurde schwarz und
schwärzer, und unter dem riesigen, dunklen Klumpen aus endlosen
Fäden konnte man den Menschen, der darin eingeschlossen war, nur
noch ahnen.
Hinter dieser Schwärze ist etwas! hämmerten Hellmarks
Gedanken. Ich will es wissen… ich muß es wissen…
Er konzentrierte sich auf das zuckende, brodelnde Dunkel, als
wolle er es mit Gedankenkraft sprengen.
Wer oder was steckte dahinter? Hatte dieses Bild nur symbolische
Bedeutung für die allgemeine Gefahr, der er sowieso ständig
ausgeliefert war – oder empfing er hier aus der nahen oder
ferneren Zukunft eine ganz bestimmte Szene, vor der er sich besonders
hüten und über die er Bescheid wissen mußte, um sie
meistern zu können?
Bei der Kristallkugel wußte man das nie so genau. Sowohl das
eine als auch das andere konnte der Fall sein.
Was liegt hinter den Schatten? fragte er sich konzentriert, und
auf seiner Stirn perlte der Schweiß.
Da wurde die Düsternis durchsichtig.
Umrisse… Das Innere eines großen Gebäudes im
englischen Landhausstil.
Schwere Polstersessel, eine wuchtige Garnitur in der Nähe
eines offenen Kamins. Feuer prasselte darin. An den Wänden
hingen wertvolle alte Stiche und Jagdtrophäen.
Ein breiter Treppenaufgang schwang sich zum ersten Stock, zu
beiden Seiten flankiert von lebensgroßen Gestalten. Es waren
Nachbildungen junger eingeborener Krieger, mit Speeren, Pfeil und
Bogen bewaffnet.
Eine fremdartige und seltsame Umgebung. Das Haus eines
Sammlers?
In Gruppen standen Nachbildungen von Menschen aus der Vorzeit
beisammen, mit Keulen und Steinäxten bewaffnet.
Es war, als ob eine unsichtbare Kamera schwenken würde. Der
Bildausschnitt veränderte sich.
Die rings um das Wohnzimmer laufende Galerie wurde gezeigt: ein
hölzernes, handgeschnitztes Geländer. Oben auf der Galerie
befand sich eine einzige Sammlung wertvoller Kultgegenstände
fremder Völker und auch wieder – wie Wachspuppen –
Nachbildungen bestimmter Gattungen. Björn fiel auf, daß
der Sammler dieser eigenwilligen Gegenstände ein besonderes
Faible für afrikanische und asiatische Menschenrassen entwickelt
hatte. Menschen aus Japan und China aus früheren Epochen mit den
damaligen Waffen waren ebenso nachgebildet wie Afrikaner und
steinzeitliche Gattungen.
Ein Bild an der Wand kam in sein Blickfeld.
Es zeigte einen weißbärtigen Mann, braungebrannt, mit
einem Monokel. Harte, sezierende Augen, harter Mund, ein energisches
Kinn.
Für den Bruchteil einer Sekunde konnte Björn Hellmark
die goldenen Lettern auf dem unteren Rahmen erkennen.
Lord Sheridan,
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