Macabros 022: Phantom aus dem Unsichtbaren
Armbanduhr und seufzte. Es war sehr
spät, und ihre Eltern würden sich sicher Sorgen um sie
machen.
Carmen de Silva bedauerte, daß sie nicht doch noch von
unterwegs angerufen hatte. Mit dem Wagen stimmte etwas nicht. Nach
Malaga hatte es angefangen. Sie konnte nur noch mit geringer
Geschwindigkeit fahren. Wenn sie Gas gab, dann heulte der Motor auf,
aber der Wagen beschleunigte nicht mehr.
Lange Zeit hatte sie wenigstens sechzig Stundenkilometer fahren
können. Unter normalen Umständen war dies auch das
äußerste, was man auf diesen Straßen abseits der
großen Städte schaffte, aber sie riskierte auch schon mal
achtzig wenn nicht sogar hundert Stundenkilometer.
Doch das konnte sie nun nicht.
Die hübsche, junge Lehrerin, die an einer schweizerischen
Schule in Barcelona unterrichtete, stieß hörbar die Luft
durch die Nase und schüttelte den Kopf.
»Wenn das so weitergeht, komme ich heute überhaupt nicht
mehr an«, sagte sie im Selbstgespräch und schaltete einen
Gang tiefer.
Die holprige Straße führte in steilen Serpentinen
aufwärts.
Carmen fuhr zwanzig Stundenkilometer, und der Seat zuckelte und
ächzte, als hätte seine letzte Stunde geschlagen.
In der nächsten Kurve spritzten kleine lose Steine vom
Fahrbahnrand weg und landeten in dem niedrig stehenden Gebüsch
an der Seite.
Noch fünf Minuten waren es bis Finjas. Dann hatte sie die
Schinderei hinter sich.
Aber solange machte der Seat nicht mehr mit.
Ein häßliches, knirschendes Geräusch drang
plötzlich aus dem Motor, instinktiv gab Carmen noch mal Gas,
aber das nutzte auch nichts mehr.
Die Tachonadel fiel zurück, und der Motor war stumm wie ein
Fisch.
Geistesgegenwärtig lenkte das Mädchen nach rechts an den
Fahrbahnrand heran. Der Seat rollte über den steinigen
Untergrund, schaffte noch einen winzigen Hügel und blieb dann
endgültig stehen.
Er widerstand allen Startversuchen, und Carmen de Silva
resignierte schließlich.
»Ein paar Meter hättest du auch noch machen
können«, knurrte sie, während sie kurzerhand das Auto
verließ, die Tür zuschlug und abschloß.
Die paar Meter, wie sie meinte, waren leicht untertrieben. Es
waren noch gut fünf Kilometer bergauf. Dann war sie erst in
Finjas. Von dort aus frühestens konnte sie zu Hause anrufen,
damit ihr Vater kam, um sie abzuholen. Den letzten Rest bis zu dem
einsam stehenden Haus auf dem Plateau auch noch zu Fuß
zurückzulegen, dazu hatte sie keine Lust mehr.
Carmen de Silva klemmte ihre Handtasche unter den Arm und zog
fröstelnd die Schultern in die Höhe, als sie sich auf den
Weg machte.
Es war stockfinster, und sie hatte das Gefühl, das einzige
Lebewesen auf der Welt zu sein.
Sie fürchtete sich nicht, jetzt allein durch die Dunkelheit
zu gehen. Es bedrückte sie lediglich der Gedanke an ihre Eltern.
Die würden sich Sorgen machen.
Anfangs lief Carmen zügig und kraftvoll, und der anstrengende
Weg nach oben brachte sie ins Schwitzen.
Sie atmete schneller und mußte des öfteren kleine
Pausen einlegen. Von Finjas war noch keine Spur zu sehen. Hinter dem
nächsten Hügel würde sie endlich die Lichter des
kleinen Orts wahrnehmen, aber dann waren die noch immer drei
Kilometer entfernt.
Plötzlich lag Motorengeräusch in der Luft. Carmen de
Silva verharrte in der Bewegung und blickte zurück. Das
Geräusch kam näher. Der Motor zerriß die Stille der
Nacht.
Deutlich vernahm sie, wie Gas gegeben wurde, wie gleich darauf
sich das Motorengeräusch wieder änderte, als der Fahrer
offensichtlich erstaunt bremste. Der Wagen stand. Zwei volle Minuten
lang.
Carmen vermutete, daß dem Ankömmling der am
Straßenrand parkende Seat aufgefallen war.
Dann brummte der Motor wieder auf, und kurz danach erkannte die
Spanierin das ferne Licht, das sich den Berg heraufbewegte.
Wenig später erfaßten die Scheinwerfer sie. Carmen
stand am Straßenrand und winkte. Ein klappriger Kastenwagen, an
dem der Zahn der Zeit und der Rost nagte, zuckelte auf sie zu.
Jemand war noch nach Finjas unterwegs! Sie atmete auf. So
würde sie wenigstens die letzte Hälfte des Weges nicht mehr
zu Fuß gehen müssen.
Auf dem Kastenwagen stand ein Name. Alfredo. Carmen lächelte.
Jedermann in Finjas kannte Alfredo. Er hatte die einzige Tankstelle
dort und eine kleine Reparaturwerkstatt. Außerdem unterhielt er
so etwas wie einen privaten Taxendienst, wenn jemand zum Bahnhof
wollte – der nächste lag zwanzig Kilometer entfernt –
oder zu Verwandten in ein Nachbardorf. Alfredo oder sein Sohn
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