Macabros 023: Gefangen im Totenmaar
Burghardt wurde lebhaft
an jene Nacht in Gerauers Villenpark erinnert.
Auf Zehenspitzen lief er auf das Bett zu, als Czernin
plötzlich gellend und markerschütternd schrie…
*
Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Marina war
vierundzwanzig. Gemeinsam mit ihrem Freund segelte sie mit der
»Pyrette«, wie sie ihr Boot getauft hatten, auf dem
Wörther See.
Marina Sermath war üppig und hatte einen prallen Busen.
Walther liebte solche Frauen. Es war sein erster Urlaub mit Marina.
Sie war – wie er – am Segeln interessiert, und er hatte ihr
den ganzen Nachmittag über die notwendigsten Handgriffe
erklärt.
Jetzt, in der Dunkelheit, saßen sie im Boot, ließen es
im Wind treiben und tranken aus einer Thermosflasche heißen
Tee.
»Ich denke, für heute reicht’s«, sagte Marina.
Sie hatte eine sanfte Stimme. Trotz der wetterfesten Kleidung, war
ihr unangenehm kühl. Ihr Gesicht spannte und wirkte fast
weiß. »Mir brummt der Schädel, von all den Begriffen
und Handgriffen, die du mir beigebracht hast. Ich glaube, morgen habe
ich alles vergessen.« Sie lachte leise, führte den Becher
an den Mund und nahm kleine Schlucke.
Walther Darkos saß neben ihr. Der Deutsche stammte aus
Stuttgart. Er war zwei Jahre älter als Marina und ärgerte
sich, daß er in diesem Jahr so spät Urlaub bekam. Aber als
Sohn des Chefs hatte man oft weniger Vorteile als die Arbeiter und
Angestellten. Deren Wünsche gingen erst mal vor.
Daß es aber auch so plötzlich kälter wurde, damit
hatte niemand mehr gerechnet.
Segeln machte mehr Spaß bei schönem Wetter.
»Wir holen das noch mal nach«, sagte er, seinen Arm um
ihre Schulter legend. »Bei Sonne und Wärme. Ich habe meinen
Urlaub nicht ganz genommen. Zwischen Weihnachten und Neujahr verdufte
ich noch mal. Vielleicht kannst auch du dich freimachen?«
»Wo soll’s denn hingehen?« Obwohl sie sich
beherrschte, schlugen ihr letzt doch die Zähne aufeinander.
Darkos legte Marina eine Wolldecke über die Schultern. »So
’ne lauschige Nacht auf dem See ist ganz schön, aber wenn
die Wärme fehlt, dann wird’s einfach
ungemütlich.« Erst nach diesen Worten ging sie auf seine
Frage ein. »Denke schon. Für die Feiertage habe ich mir
noch nichts vorgenommen. Wo soll’s hingehen?«
»Mallorca oder Teneriffa. Eher das letztere, nehm’ ich
an.«
Aber es sollte weder Mallorca noch Teneriffa werden. Doch das
ahnten sie in diesen Sekunden nicht.
Walther Darkos wollte seiner charmanten Begleiterin noch etwas
sagen, als er stutzte.
Sie merkte es im gleichen Augenblick und meinte: »Mit dem
Boot stimmt doch etwas nicht.«
Sie drehten sich langsam im Kreis. Er konnte die Segel setzen wie
er wollte, auch die Bedienung des Steuers brachte nichts. Das Boot
reagierte nicht auf den geringsten Lenkversuch.
»Verdammter Mist«, knurrte Darkos. »Da ist doch
etwas faul.«
Was hier geschah, widersprach allen Naturgesetzen.
Leichter Wind, kein Strudel, und doch drehte das Boot sich im
Kreis, als wäre es in einen Mahlstrom geraten.
Unsichtbare Hände schienen es zu bewegen. Es ging schneller
und schneller. Sie mußten sich beide am Bootsrand festhalten,
um nicht hinausgeschleudert zu werden.
Wasser spritzte auf.
Marina und Walther bekamen es mit der Angst zu tun.
»Tu’ doch was! Mein Gott, so tu’ doch was!«
brüllte sie. Ihre Augen flackerten wild.
Diese hektische, karussellartige Bewegung raubte ihr den Atem.
Um sie herum schien die Hölle loszubrechen. Das Wasser
gurgelte und brodelte, als würde es erhitzt.
Das Segelboot drehte sich in die Tiefe! Der Bootsrand war jetzt
gleich mit der Wasseroberfläche identisch – und dann
ergoß sich die Flut in das Boot mit dem weiß-roten Segel,
in dem zwei Menschen verzweifelt um ihr Leben kämpften.
*
»Weg! Was wollt ihr von mir? Warum laßt ihr mich nicht
in Ruhe!« Die Worte klangen so hektisch, so erregt, als
fühle er den nahen Tod und wehre sich mit letzter Kraft gegen
das Unabänderliche. Er stöhnte und wimmerte und schlug mit
kraftlosen Bewegungen in die Luft, als müsse er unsichtbare
Feinde zurückdrängen.
Als würde er an einem Seil in die Höhe gezogen, richtete
er sich plötzlich auf.
Im Licht der Nachttischlampe sah er mit seinem bleichen,
schweißüberströmten Gesicht aus wie ein Gespenst.
»Neiiin! Neiin. Nicht… schon wieder!«
Mit weitaufgerissenen Augen starrte Czernin auf Burghardt, als
stände der Leibhaftige vor ihm.
»Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich bin gekommen, um
Ihnen zu
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