Macabros 031: Der Schreckliche aus dem Totenbrunnen
erzähle Ihnen die Geschichte von
Anfang an, damit Sie sich ein Bild davon machen können. Wie
immer Sie auf diese grausame, menschenfeindliche Welt kamen,
Björn… es muß ein anderer Weg sein als der, den Juan
gekommen ist.
Es begann vor einem Monat – ja, so lange muß es schon
her sein. Ich habe keinen Kalender, hier gibt’s so etwas nicht.
Hier sind die Tage und die Nächte gleich, und eine Stunde reiht
sich an die andere, und man glaubt, die Zeit würde stillstehen.
Aber daß sie weitergeht zeigt sich daran, daß dauernd
etwas Neues passiert, daß neue Opfer hinzukommen, daß die
alten von Totenvögeln und Erdwürmern gejagt werden.
Es ist ein Wunder, daß ich bisher ungeschoren davongekommen
bin. Ich habe die Ruinenstätte des Schrecklichen verlassen. Ich
bin keinem Vogel und keinem Wurm begegnet – ich hatte
Glück. – Ich bin verzweifelt“, preßte sie
plötzlich hervor, und um ihre Lippen zuckte es, ihre Augen
füllten sich mit Tränen.
„Das alles ist ein Alptraum, der nicht endet. Ich bin einfach
davongelaufen. Niemand hat versucht, mich zu halten. Das ist aber
auch nicht nötig. Überall, wohin man gerät, herrscht
das Grauen und umfängt einem eine schreckliche,
unverständliche Welt. Hätte ich mich irgendwo im Dschungel
verirrt, und ich hätte Sie nun getroffen – ich wäre
glücklich und könnte hoffen, daß nun alles anders
würde. Aber so? Sie sind ein Gefangener wie ich – wissen es
vielleicht nur nicht, weil Sie auf anderem Weg hierher gelangten. Es
gibt kein Entrinnen von hier.“
„Sagen Sie das nicht…“ Macabros sah sie lange an.
„Wie heißen Sie?“
„Evita…“
„Nun, Evita, wo es einen Eingang gibt, gibt es auch einen
Ausgang.“
Sie verzog schmerzlich die Lippen: „Das hört sich
logisch an. Doch diese Logik hat hier keine Gültigkeit.
Angefangen hat es eigentlich durch Juan. Ich bin Journalistin
müssen Sie wissen. Durch Zufall geriet ich an eine Sache, die
alte, okkulte Tätigkeiten der Mayas und Azteken beschrieb. Ein
Reisender, der vor über hundert Jahren die Urwälder von
Yucatan durchquerte, schrieb, daß er auf eine abseits jeglicher
Zivilisation lebende versprengte Gruppe von Mayas gestoßen sei,
die noch so lebe wie zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, die
keinen Kontakt zur Außenwelt habe und den alten,
blutdürstigen Göttern opfere. Dieser Reisende – ein
Engländer namens Jackson – behauptet ferner einige Jahre
bei diesen Menschen gelebt zu haben und von ihnen wie ein Freund
behandelt worden zu sein. Genaue Beschreibungen der Riten zeichnen
das Buch aus.
Jackson spricht von einem Opferbrunnen, dem die Maya-Priester in
regelmäßigen Abständen unschuldige junge
Indianerinnen anvertrauen. In Anbetracht der Tatsache, daß das
dort verborgen lebende Volk zahlenmäßig so klein ist und
doch so gewaltige Blutopfer bringt, versuchte Jackson dahinter zu
kommen, weshalb man diese Riten durchführte. Sicher konnten sie
nicht ganz verschwinden, wenn man berücksichtigte daß sie
die uralten Vorschriften befolgten – aber zumindest konnte man
die Opferbereitschaft einschränken.
Jackson machte die Erfahrung, daß dazu aber keinerlei
Bereitschaft existiere. Die Menschen dort fürchteten den
Schrecklichen. Um das eigene Leben zu erhalten, gaben sie junges
Leben und stürzten junge Indianerinnen, die von den Priestern
auserwählt wurden, in die Brunnen. Ich hielt das Ganze, als ich
es in einer Bibliothek in Mexico City entdeckte für einen mehr
als übertriebenen Bericht.
Hier hatte – so meinte ich – der Berichterstatter seiner
Phantasie freien Lauf gelassen. Aber Juan machte mich darauf
aufmerksam, daß möglicherweise doch mehr dran sei, als man
auf den ersten Blick glauben mochte. Juan ist… nein, war…
mein Kollege…, und er kramte aus unserem eigenen Archiv eine
Meldung, die im Herbst 1973 um die ganze Welt ging.
Damals nämlich fanden Suchtrupps nach siebenwöchiger
Arbeit die Passagiere einer abgestürzten DC-10, die in den
Wäldern von Yucatan verschwunden war und von der niemand mehr
erwartete, daß man überhaupt von ihr jemals noch etwas
entdeckte. Hundertsieben Passagiere waren an Bord gewesen,
zweiunddreißig seinerzeit bei dem Absturz ums Leben gekommen,
die anderen kamen mit dem Schrecken davon. Von den restlichen
fünfundsiebzig waren vierzig Frauen gewesen. Die
Überlebenden berichteten davon, daß kurz hintereinander
– in den ersten drei Tagen nach dem Absturz – zehn Frauen
verschwanden. Danach noch mal acht.
Die nach
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