Macabros 034: Galeere des Grauens
und
Zusammenhänge ergründen, da hätte er kein Anwalt sein
dürfen. – Aber selbst etwas erfinden? Nein, das paßte
nicht zu ihm. Was siehst du noch, Ed?«
»Einen alten Schrank, eine Art Kommode mit fünf
Schubladen untereinander.«
»Was ist in den Schubladen?«
»Ich hab’ noch nicht nachgesehen… ich mach’
jetzt die oberste auf…«
»Sei vorsichtig!«
May schluckte. Nervös rieb sie ihre Finger aneinander. Sie
ertappte sich dabei und zwang sich, vernünftiger zu sein. Sie
benahm sich wie eine Verrückte. Fehlte bloß noch,
daß sie an Geister und übersinnliche Mächte
glaubte… aber seltsamerweise tat sie es. Seitdem Percy die Figur
ins Haus brachte, war alles anders geworden. Percy veränderte
sich seelisch und geistig, und als er unerwartet starb, auch
körperlich.
»Es sind Papiere darin, May…«
»Was für Papiere?«
»Keine Ahnung! Vielleicht Prozeßakten über
delikate Scheidungsgeschichten?« flachste er.
»Unsinn!« Sie nahm das ernst. »Sämtliche Akten
befinden sich im Büro.«
»Es gibt aber auch hier ein paar. Handgeschriebene Seiten,
fein säuberlich abgeheftet. Dein Mann hatte nicht gerade das,
was man eine schöne Schrift nennen könnte. Da fällt es
einem Archäologen leichter aus Hieroglyphen zu lesen als aus
dem, was dein Mann da zu Papier gebracht hat… hier steht etwas,
das hat er unterstrichen… ›Spiel des Schicksals, das
göttliche Spiel des Schicksals…‹ oder so ähnlich
kann das heißen. Er scheint sich doch mit der Erfindung eines
neuen Spiels abgegeben zu haben, scheint mir.«
Blätter raschelten. Andere Schubladen wurden aufgezogen. May
Jefferson las aus den Geräuschen.
»Und?« fragte sie.
»Bergweise Papier. Scheint ’ne längere Abhandlung
zu sein.«
»Vielleicht hat er niedergeschrieben, worum es ihm
ging?«
»Vermutlich…«, antwortete Gilmore einsilbig.
»Was steht alles darin?«
»Kann ich auf Anhieb nicht sagen. Das braucht Zeit. Ich
fang’ mal an, drin rumzuschnüffeln, wenn es dir recht
ist.«
»Es ist mir recht. Vielleicht erfahren wir da mehr.«
»Willst du nicht hereinkommen?«
»Nein… nein, lieber nicht.« Eine unbegreifliche
Furcht hielt sie davor ab, Gilmores Einladung entgegenzunehmen. In
ihrem eigenen Haus benahm sie sich wie eine Fremde.
Zehn Minuten vergingen, eine Viertelstunde…
»Und?«
»Nichts Besonderes. Hier steht, daß er etwas entdeckt
hat, was ihm den Schlaf raubt… bezieht sich wohl auf das
Spiel…«, wieder eine Viertelstunde später bat Ed
Gilmore darum, ihm etwas zu trinken zu bringen. Durch den
Türspalt reichte May Jefferson ihm zwei Dosen Bier.
Eine Stunde verging, eine zweite. Da hörte May, daß von
innen der Riegel vorgeschoben wurde.
»Ed?« fragte sie überrascht. »Was ist denn
jetzt los?«
»Ich glaube, du hattest recht, als du behauptet hast, mit der
Tonfigur habe das Leben deines Mannes sich von Grund auf
verändert. Ich habe die Figur gefunden!«
»Hast du sie…?«
»Nein! Sie ist eingewickelt in ein graues Tuch. Das habe ich
angefaßt. Über die Figur und ihre vermutliche Herkunft
steht ’ne Menge in den Papieren, die ich gefunden habe. Dein
Mann erwähnt Namen und Begriffe, mit denen ich nichts anzufangen
weiß, die ich noch nie zuvor gehört habe. Offenbar
wußte er selbst nichts damit anzufangen, denn an anderer Stelle
versucht er Klarheit über seine eigenen Gedanken zu erhalten und
glaubt, daß vieles von dem, was er schon niedergeschrieben hat,
gar nicht seinem eigenen Willen entsprungen ist… komisch das
Ganze…«
»Aber weshalb legst du den Riegel vor, Ed?«
»Nur so… als Vorsichtsmaßnahme. Ich will einen
Versuch machen, May, von dem ich nicht weiß, wie er ausgeht.
Als dein Mann sich hier einschloß, hatte er seine Gründe,
das weiß ich jetzt. Aber was sich hier unten wirklich
abspielte, das hast du nie erfahren. Es scheint so, als ob er
über bestimmte Zeiträume hinweg wahnsinnig wurde, daß
er dann Dinge sah und hörte, an die er sich später nicht
mehr erinnern konnte. Deshalb auch diese wild aussehenden
Manuskripte. Bleib’ vor der Tür, bleib’ mit mir im
Gespräch und merke dir alles, was ich sage, was ich tue, sofern
du durch ein Geräusch dadurch aufmerksam wirst.«
»Aber Ed! Du hattest mir versprochen, nichts zu unternehmen,
was eine Gefahr heraufbeschwören könnte. Hörst du
mich, Ed?«
Sie trommelte gegen die Tür. »Ed?! Hallo? Was ist denn
los?!«
Ed gab keine Antwort mehr…
*
Sie hielt den Atem an.
Bum… bumbum… bum… bumbum…
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