Macabros 034: Galeere des Grauens
Narr, auftaucht, soll er mit leeren Händen
dastehen. Diesmal wird er uns in die Arme laufen und mit dem Rest der
Bande auf der Dämoneninsel landen, wo er das werden wird, was
alle, die wir hierher brachten, auch wurden und was auch euch
erwartet: die Umwandlung in einen leibhaftigen Dämon. Und dann
verdient ihr die Bezeichnung ›Freund‹ doch viel eher,
findet ihr nicht auch?«
Er wandte sich um. Sein kahles Knochengesicht glühte fahl. Er
hatte die Zähne gefletscht, und sein mächtiger Brustkorb
spannte sich unter der rubinroten Admiralsuniform mit den
Goldbeschlägen.
Triumphierend starrte er hinunter in den Bauch der fliegenden
Galeere, wo die geduckten Sklaven hockten, deren Kraft die
mächtigen Schwingen in Bewegung setzte, welche die Utang-Zuur
durch die aufgepeitschten Lüfte jagen ließ.
*
Der Schlüssel drehte sich knackend im Schloß.
Ed Gilmore legte seine Hand auf die Klinke, als May Jefferson
plötzlich nach seinem Armgelenk griff.
»Nicht«, flüsterte sie. »Laß es! Ich
habe Angst.«
»Aber warum?«
»Weil ich nicht weiß, was für ein Geheimnis dieser
Raum birgt. Ich fühle nur eines: es ist nicht gut, ihn zu
betreten.«
»Aber wenn wir nicht nachschauen, werden wir nie
erfahren…«
Sie schien es sich plötzlich anders überlegt zu haben.
»Ich will es auch gar nicht erfahren, Ed…«
»Aber du wolltest die Figur loswerden…«
»Ja…«
»Na also.« So dicht am Ziel reagierte er gereizt.
Was ging hier im Haus vor? Welches Geheimnis barg dieser Raum? Was
hatte Percy Jefferson entdeckt, oder mit welchen Mächten hatte
er sich eingelassen, daß sie ihn mit einem furchtbaren und
rätselhaften Tod bestraften?
Das alles und noch mehr interessierte ihn.
»Bleib’ hier! Ich geh’ allein hinein.« Er
versuchte äußerlich ruhig zu bleiben. »Es geschieht
zu deinem Besten. Man kann nicht in Ungewißheit
leben.«
May schien ihn überhaupt nicht zu hören. Ihr Blick war
in eine imaginäre Ferne gerichtet. Wie in Trance meinte May:
»Am liebsten würde ich das Haus verkaufen, mit allem, was
darin ist. Nichts von alledem mitnehmen! Irgendwo ganz neu
anfangen.«
»Das wäre zu überlegen. Aber was gibt dir die
Gewißheit, May, daß sich das, was hier geschehen ist,
nicht doch wiederholt? An einem anderen Ort? Zu einer anderen Zeit
– und nur deshalb, weil wir die Dinge nicht untersucht haben,
weil wir sie unbeachtet ließen?«
Ed drückte die Tür weiter auf. Die Scharniere
quietschten kaum hörbar. Das Zimmer dahinter war dunkel.
»Tu es, gut! Aber sei vorsichtig! Versprich es mir! Tue
nichts, was du dir nicht vorher genau überlegt hast«, bat
sie ihn.
Er nickte. »Ich verspreche es dir.«
Sie trat einen Schritt zur Seite. Aus den Augenwinkeln nahm sie
wahr, wie er nach dem Lichtschalter tastete. Dann drückte er die
Tür ins Schloß.
Erst da wagte sie es, den Kopf ganz zu wenden.
»Was siehst du, Ed?« fragte sie durch die Tür, mit
dem angelegten Ohr lauschend.
»Nichts Besonderes, May. In der Mitte des Raumes steht ein
Tisch, groß wie eine Tischtennisplatte. Ich nehme an, es ist
sogar eine. Sie ist in zwei Hälften unterteilt. Die ganze Platte
stellt nichts anderes dar als ein großes Spielfeld, das aus
Karos besteht. Darauf verteilt sind verschiedene Figuren, etwa zehn
Zentimeter groß…«
»Nichts anfassen, Ed!«
»Du hast nur von einer Figur gesprochen. Hier stehen
mindestens zwanzig. Ob sie aus Ton sind, kann ich nicht sagen. Die
einen jedenfalls sind dunkelrot eingefärbt, die anderen schwarz.
Du hattest möglicherweise ein Genie als Ehemann – und
wußtest es nicht«, fügte Gilmore leise lachend hinzu.
Sie vernahm seine Stimme klar und deutlich hinter der dünnen
Tür und seine Schritte, wie er die Tischplatte umrundete.
»Wahrscheinlich war ihm sein Beruf zu langweilig und er hat sich
ein besonderes Hobby ausgesucht. Er hat wohl ein neues Spiel
erfunden. So ein Mittelding zwischen Dame und Schach wie? Eine Art
›Ritter-Kampfspiel‹ vielleicht? Es sind sehr viele Ritter
zu sehen, aber auch Figuren, von denen ich nicht genau weiß,
wen oder was sie darstellen. Sie sehen aus – wie
Buhmänner.«
»Faß’ sie nicht an, Ed!« mahnte May wieder.
»Sieh dir alles nur erst genau an! Dann werden wir weitersehen.
Percy besaß nur eine Figur. Er sprach auch immer nur von der
einen. Die anderen – muß er selbst hergestellt haben,
schon möglich. Aber nach welchen Vorlagen? Ich kannte Percy wie
niemand sonst. Viel Phantasie hatte er nicht. Er konnte Dinge
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