Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen
los aus der Benommenheit, die ihn
einlullte.
Danielles Lippen strichen liebkosend über seine Schultern,
seinen Nacken empor, und er spürte ihren heißen,
unregelmäßigen Atem.
Er wollte sich mit einem Ruck aufrichten und Danielle mit harter
Hand zurückstoßen, als er das Gleiche erlebte wie am Tag
zuvor.
Er befand sich wieder außerhalb seines Körpers und
fühlte eine grauenhafte Leere in sich aufsteigen. Er sah seinen
Leib auf dem Bett liegen. Seine Seele hatte sich wieder von ihm
gelöst. Dieser Leib dort, der er war, lebte nicht mehr. Er war
neugeboren worden in einer anderen Gestalt. Das Grauen packte ihn.
Sein ganzer Körper war grün, und er bewegte sich mit
breiten, klauenbewehrten Füßen, die auf den Boden
klatschten. Sein Körper reckte sich, und er spürte die
fremden, elastischen, kraftvollen Muskeln, die sich unter der
grünen, lederartigen Haut spannten.
Wie ein Geist schwebte Danielle neben ihm. Ihr Lachen hallte in
seinen Ohren. Es klang unmenschlich, dämonisch. Frandon hatte
nie eine Hexe lachen hören, aber wie Danielle de
Barteaulieé jetzt lachte, konnte er sich vorstellen, daß
so und nicht anders eine Hexe lachte, wenn sie ihr Ziel erreicht
hatte.
»Befreit! Wie lange habe ich auf diese Stunde gewartet! Du
mußtest zum zweiten Mal kommen, du konntest dich dem Zwang
nicht entziehen. Und nun wirst du mit mir kommen in jene Welt, in die
ich gehöre, in der ich Hexe und Mensch sein kann. Kommt herab,
finstere Gesellen – holt mich und das Opfer, das ich euch
schuldig bin! Ich komme… ich komme zu euch in jene Welt, in der
ich bisher nur Gast sein konnte!«
Danielle trug das rubinrote Kleid und heftiger Wind kam auf,
durchtoste das schummrige Schlafgemach und schien aus allen
Wänden, dem Boden und der Decke zu kommen. Das Kleid flatterte
um ihren schlanken, begehrenswerten Körper wie eine Fahne.
In das Tosen des Sturms mischten sich unheimliche Laute die
anschwollen und in seinen Ohren schmerzten. Die schauerlichen
Gesänge und Beschwörungen peitschten sein Innerstes auf.
Ein riesiger Schatten schwebte in der Luft über ihnen. Die
Wände schienen unendlich weit entrückt, so daß er
sich vorkam, als würde er auf einer Plattform stehen, die durch
einen jungfräulichen, chaotischen Kosmos raste und ihn und
Danielle mit sich schleppte.
Nur sie beide?
Nein – da waren noch mehr. Er erkannte sie sofort wieder, die
Figuren vom Kaminsims des Comte-Schlosses. Aber jetzt waren es keine
Figuren mehr, sondern lebende, mannsgroße Wesen, die sie
umringten, die in den schauerlichen Gesang mit einstimmten,
herumtanzten und in die Hände klatschten. Sie benahmen, sich wie
von Sinnen.
»Die Nacht der Hexendrachen steht vor der Tür«,
erscholl es aus Danielles Mund. »Den Drachen habe ich meine
Kenntnisse zu verdanken, den Drachen sollst du gehören. Nur
heute war noch die Chance, zu tun, was getan werden
mußte…«
Und sie taten das, was getan werden mußte.
Die schauerlichen Gestalten rückten näher, während
er dastand wie ein Ölgötze. Und mit den Gespenstern kamen
Jean-Paul und sein Vater. Sie hielten funkelnde Messer in der Hand
und öffneten ihm die Pulsadern. Rot und warm lief das Blut seine
Handgelenke herunter, in seine Handinnenflächen.
»Du gehörst den Drachen der fremden Welt, einer Welt, in
der wir gemeinsam tanzen werden, immer wieder tanzen… nur in der
Nacht der Hexendrachen ist meine Befreiung möglich.« Der
Kreis der Unheimlichen öffnete sich und Danielle sprang
leichtfüßig auf ihn zu, als ob sie den Boden mit ihren
Füßen überhaupt nicht berühre.
»Rha-Ta-N’my hat mich verflucht, aber mir eine Chance
gegeben. Durch das Wissen, das ich in mir vereinigt habe, war es
nicht möglich mich auf Ewigkeit fernzuhalten. Ein Tor ist mir
noch immer versperrt: die Welt der Menschen, die ich liebe. Aber in
der Zwischenzeit habe ich die Welt der Hexendrachen lieben gelernt
– wie mein Vater sie einst liebte. Und dort werde ich alles
daransetzen, als Herrscherin über die Kunst der Schwarzen Magie
und der Hexerei auch in die Welt der Menschen Eingang zu finden.
Jetzt, da ich bereit bin, Böses zu tun, ohne Rücksicht auf
das Leben anderer.«
Die Worte, die sie sprach, paßten gar nicht zu diesem
faszinierenden, engelgleichen Wesen. Frandon hörte sich den
Versuch unternehmen, sie abzubringen, von dem Unheil, das sie
heraufbeschworen hatte.
Die Gleitbewegung durch das kosmische Nichts hatte längst
aufgehört. Sie gingen steil gewundene Treppen in die Tiefe
hinab, als
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