Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen
was er eigentlich nicht hatte
tun wollen: er berichtete von seinem Aufstieg, von dem er nicht
wußte, ob er nur geträumt oder real war, aber davon sagte
er dem Franzosen nichts.
Die Haut spannte sich wie altes, vergilbtes Pergament über
die Backenknochen des Lauschenden.
»Sie haben – Danielle de Barteaulieé
gesehen?« wisperte Maurice Lupec.
»Das nackte Mädchen auf der Wiese am Abhang des Kaps hat
mich neugierig gemacht. Da habe ich mir zum ersten Mal gesagt: Dort
oben lebt doch jemand. Und es hat gestimmt.«
Lupecs Rechte, die die ganze Zeit nervös am Glas
entlanggestrichen war, kam in die Höhe, und er fuhr sich mit
einer fahrigen Bewegung über sein Gesicht.
»Nein, dort oben lebt niemand. Und wenn ich Ihnen das sage,
können Sie mir das glauben. Was Sie gesehen haben, das war ihr
Geist, der Geist einer Hexe.«
Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, daß es Frandon
eiskalt über den Rücken lief.
»Ich sage Ihnen die Wahrheit, Monsieur. Die wollen Sie doch
hören, deshalb sind Sie doch gekommen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Na, sehen Sie. – Der Comte de Noir befaßte sich
mit dem Studium mystischer Schriften. So weit ich durch mein
Interesse an den Vorfällen jener Zeit auf Grund gestoßen
bin, soll er eine Abschrift jenes einmaligen und gefährlichen
Buches der Totenpriester besessen haben. Die Abschrift selbst war
schon mehr als viertausend Jahre alt, als sie in seinen Besitz
gelangte. Der Comte soll mit Hilfe rätselhafter und nur ihm
bekannter Riten in die Lage versetzt worden zu sein. Reiche und
Welten in anderen Dimensionen aufzusuchen. Er soll mit Geistern und
Dämonen und dem Teufel selbst gesprochen haben. Molochos, ein
Priester der sich mit ähnlichen okkulten Dingen in einer noch
ferneren Zeit befaßte, soll als einziger das Buch der
Totenpriester Wort für Wort auswendig gekannt haben, und dies
hat seinen Aufstieg zum Dämonenfürsten ermöglicht. Der
Comte de Noir scheint ähnlichen Ehrgeiz besessen zu haben. Er
brachte Molochos und dessen Dienern Menschenopfer dar. Auf dem
Schloß des Comte verschwanden Kaufleute, rechtschaffene
Bürger, Bauern und Reisende, die dort um Quartier nachsuchten.
Der Comte wurde schließlich der Hexerei angeklagt, aber es gab
niemand, der es gewagt hätte, das Urteil zu vollstrecken. Seine
Macht reichte weiter als der Arm des Gesetzes, das Menschen sich
gegeben hatten. Der Comte war der Macht der Finsternis, der er
diente, treu ergeben, um nicht zu sagen: ihr mit Haut und Haaren
verfallen. Seine Einstellung zu diesen Dingen muß sich
geändert haben, als eine Frau auf das Schloß kam, eine
Comtesse aus Paris, deren Kutsche unterhalb des Kaps einen
Achsenbruch erlitten hatte. Der Comte bot ihr Quartier an und
verliebte sich in sie. Sie blieb auf dem Schloß und gebar ihm
ein Kind, eine Tochter, von deren Schönheit der Comte so angetan
war, daß er nur einen Wunsch hatte: die Jugend und
Schönheit seiner Tochter so zu erhalten wie sie an jenem Tag
war, als sie zwanzig wurde.
Er hatte die Macht dazu, er war ein Hexenmeister. Aber er
mußte zwei Bedingungen erfüllen: er mußte seine
Tochter in die Dinge einweihen, und er mußte sie dazu bringen,
eine Hexe zu werden. Ein Dämon forderte die Schöne zur
Frau. Der Comte war mit der ersten Bedingung einverstanden, auf die
zweite ging er nur zum Schein ein. Er wollte seiner Tochter Jugend
und Schönheit auf ewig erhalten, aber er wollte nicht, daß
sie diese Schönheit für einen Dämon vergeudete,
sondern für die Männer dieser Welt, die ihr zu
Füßen liegen würden. Er überlistete seine
Vertragspartner. Er gab ein Fest. Es heißt daß bei diesem
Fest unheimliche Geschöpfe aus allen Bereichen der Hölle
anwesend gewesen wären und feuerspeiende Drachen und Schlangen,
die sich wie Menschen auf zwei Beinen bewegten, die Tänzer und
Gesprächspartner der schönen Danielle de Barteaulieé
gewesen seien. In jener Nacht hätte man sie in alle Sparten der
Hexenkunst eingeweiht. Jeder hätte sein Scherflein dazu
beigetragen. Dann ließ der Comte die Bombe platzen. Alle, die
aus der Finsternis gekommen waren, fielen einem Bannfluch zum Opfer.
Der Comte erwies sich als Verräter. Er glaubte, so fest im
Sattel zu sitzen, um diejenigen, die ihn einst die ersten Schritte im
Reich der Schwarzen Magie und der Hexenkunst lehrten, zu
überlisten. Er wollte zeigen, daß er nun der Meister war.
Er konnte alle Besucher der Jenseitswelt spurlos verschwinden lassen,
bis auf einen, der sich rechtzeitig absetzen konnte. Er
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