Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen
suchten sie den Eingang zur Hölle.
Er sah einen dunklen, gewölbeartigen Keller von gewaltigen
Ausmaßen. Der Duft schweren Weins stieg ihm in die Nase. Dann
lag ein endlos wirkender Korridor vor ihnen, den Danielle zuerst
betrat.
Frandon war außerstande stehenzubleiben oder ganz und gar
die Flucht anzutreten, mit der er sich ganz schwach in Gedanken
befaßt hatte.
Der Korridor endete in einem kreisrunden, glosenden Schlund. Eine
fremde Welt lag vor ihnen.
Sie standen auf der Spitze eines kahlen schwarzen Berges, von dem
aus ein steiler Weg in die Tiefe einer Schlucht führte, in der
seltsame schwarze Felsbehausungen standen, zwischen denen es von
fremdem Leben wimmelte.
Aus den Felswohnungen, die auf einem moosbewachsenen Plateau
lagen, das sanft zu einem dunkelgrünen, schäumenden Meer
abfiel, krochen die Hexendrachen und liefen wie von Sinnen in die
Nacht hinein, als folgten sie einem geheimnisvollen Lockruf, dem sie
sich nicht entziehen könnten. Jenseits der Felswohnungen gloste
der Himmel in einem kalten Blau-Grün: dort hinten wimmelte es
von den geflügelten Wesen, die jedoch alle zu Fuß
unterwegs waren und aus der Felsenstadt hinausdrängten. Ein
endloser Zug dunkler Leiber verlor sich in der düsteren Schlucht
und verschwand hinter den Bergen.
»Wir werden ihnen folgen. Zum Tanzplatz der Hexen«,
sagte Danielle de Barteaulieé, und sie ereiferte sich, als
könne sie es kaum erwarten.
Der Geruch, die widerliche Musik, das Heulen und Schreien fremder
Stimmen – das alles stieß ihn ab, und trotzdem konnte er
sich dem unheimlichen Bann nicht entziehen. Er machte etwas durch,
was noch kein Mensch vor ihm in dieser Form erlebt hatte. Das
alptraumhafte Geschehen nahm ihn völlig gefangen, und ganz tief
in seinem Innern hoffte er, daß auch dieser Traum ein Ende
fand.
Er war überzeugt davon, daß alles was hinter ihm lag,
nur ein Traum sein konnte, ein unendlich langer Traum, der einfach
nicht enden wollte…
Manchmal kam ihm die Reise durch diese Traumwelt kurz vor –
dann wieder endlos lang. Kein Gefühl für Raum und Zeit, wie
es typisch war für einen Traum…
Eben noch standen sie auf dem Berg – im nächsten
Augenblick liefen sie durch die Schlucht und befanden sich mitten
unter den aufrecht gehenden, drachenartigen Bewohnern dieser Welt,
die in den Eingängen einer riesigen Arena verschwanden…
*
Die schauerliche Sphärenmusik und die unheimlichen
Gesänge hielten den ganzen Tag über an.
Die Luft über und im nahen Umkreis des Kaps war erfüllt
davon.
Die Gäste blieben aus, die Vögel in den Bäumen
rührten sich nicht. Den ganzen Nachmittag über war nicht
eine einzige Zikade zu hören.
Jacques Dupont preßte beide Hände gegen die Ohren.
Seine Familie ließ sich nicht sehen. Seine Frau, deren Mutter
und der Vater lebten hier ebenfalls im Haus. Alle Türen und
Fenster waren verschlossen. Der Wind trug die unheimlichen
Geräusche genau auf diesen Berg, und nur hier waren sie in
voller Klarheit und Stärke zu hören.
In den vergangenen Jahren war die Hexenmusik nur ein einziges Mal
erklungen: unmittelbar vor und nach dem Verschwinden des kleinen
Pierre. Das lag jetzt drei Jahre zurück. Doch Dupont konnte
diesen Tag nicht vergessen.
Und nun fing es also wieder an.
Da erhob er sich abrupt. Draußen dunkelte es schon. Der Wirt
nahm die Schrotflinte aus dem kleinen braunen Schrank hinter der
Theke und lud sie durch. Dann verließ er wortlos sein Haus,
stieg in einen klapprigen 2 CV, der im Hof stand, und startete.
Das Fenster im ersten Stockwerk wurde aufgerissen. Eine Frau, ende
vierzig, hager und verhärmt, blickte entsetzt nach unten.
»Jacques!« rief sie außer sich. »Das darfst
du nicht tun! Bleibe hier! Fahr nicht weg!«
Er streckte den Kopf aus dem nach außen geklappten Fenster,
während er zurückstieß. »Es ist meine Chance,
Claudette! Diesmal bin ich schneller, diesmal bin ich drüben,
ehe es Mitternacht ist. Diesmal werde ich der Hexe das Handwerk
legen, die es gewagt hat, zu ihrer Befreiung Pierre zu sich zu
locken, um ihre widerlichen Scheusale mit Menschenfleisch zu
füttern!«
»Du wirst nicht lebend zurückkehren. Jacques!«
Er gab darauf keine Antwort. Bleich und mit zusammengebissenen
Zähnen saß er hinter dem Steuer und fuhr auf der holprigen
Straße den Berg hinunter.
*
»Ich muß mich zusammenreißen!« redete
Hellmark sich ein. »Ich darf jetzt nicht einschlafen. Das ist
genau das, was sie wollen.«
Er kämpfte gegen die Müdigkeit
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