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Macabros 055: Mysterion, der Seelenfänger

Macabros 055: Mysterion, der Seelenfänger

Titel: Macabros 055: Mysterion, der Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Shocker
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oft nicht zwischen Stunden und Tagen zu
unterscheiden. Aber vor Wochen – das weiß ich genau –
erschien bei mir ein Abgesandter Rha-Ta-N’mys.
    In diesem Raum war es, in dem nun gerade du stehst, Estrelle. Er
erschien mitten aus der Luft und sprach mich mit geisterhafter Stimme
an. ›Eine Chance‹, sagte er, ›sollst du bekommen.
Bring’ mir den Kopf eines Mannes!‹
    Wer hätte nicht ebenso wie ich gehandelt und die Chance
ergriffen? Die Verbannung quälte mich, und nun sollte ich wieder
eine Aufgabe erhalten. Noch zudem eine, die einen Mann, einen
verhaßten Menschen, zum Opfer erkor.
    Das ist der Weg meiner Existenz. Das, was ich jetzt darstelle, ist
das Resultat der Einflüsse, denen ich ausgesetzt war. Aber es
waren Einflüsse, die mir wohl taten und ganz meinem Sinn
entsprachen. Und nun, nach so vielen Jahren der Vorbereitung,
fühle ich mich reif genug, den Kampf gegen Mirakel
aufzunehmen!«
     
    *
     
    Sie hatte sich vorgestellt, daß sie Finsternis umfangen
würde, wenn sie in das Loch eindringe. Nun mußte sie
erkennen, daß es eine Finsternis war, in der sie auf wunderbare
Weise noch etwas zu sehen vermochte.
    Die Fische waren am Eingang der Spalte zurückgeblieben.
    Gebannt blickte Christine sich um.
    Kurz nachdem sie in die Spalte eingedrungen war, hatte sie bereits
die Wände des Loches betrachtet. Sie waren ihr uneben und narbig
vorgekommen, wie man sich die Wände einer Unterwasserhöhle
vorstellt. Nun zeigten sie sich anders.
    Langsam waren sie immer ebenmäßiger geworden. Die
Narben hatten an Glätte gewonnen, bis sie eine Fläche
bildeten. Jetzt fühlte sich Christine Olivier wie in einem von
Menschenhand erschaffenen Gang. Nicht mal die Rückstände
von Tang oder Muscheln waren zu sehen. Er war gesäubert von
allem Unrat.
    Die Französin schwebte inmitten des Ganges. Eine unbekannte
Kraft hielt sie aufrecht und ließ sie jede Biegung mitmachen.
Das tiefblaue Loch hinter ihr, das den Eingang kennzeichnete, war
kleiner geworden. Bei der ersten Biegung war es zur Seite gewandert
und hatte sich in der Gangwand verloren.
    Dafür zeichnete sich aber nach fünf bis sechs Biegungen
ähnlicher Art der Ausgang des Ganges ab. Direkt vor ihr, in gut
zehn Metern Entfernung, erkannte sie ein schottähnliches
Gebilde.
    Als sie sich ihm näherte, schob es sich langsam in die
Höhe.
    Christine hatte vermutet, daß sich dahinter Luft befand,
aber das Geschehen strafte ihre Vermutung Lügen. Es kam zu
keinem Ausgleich der beiden Medien. Statt dessen trieb sie langsam
durch das offene Schott, das sich hinter ihr wieder schloß.
    ›Menschen!‹ durchzuckte es sie. ›Das ist eindeutig
von Menschenhand konstruiert! Wenn ich richtig
vermute…‹
    Sie vermutete richtig.
    Nur wenige Sekunden, nachdem sich das Schott wieder geschlossen
hatte, schob sich vor ihr ein zweites hinab. Obwohl sie die
Geräusche nicht vernahm, hätte sie ein Vermögen darauf
verwettet, daß nun Pumpen in Tätigkeit verfielen.
    Eine Schleuse!
    Der Absaugvorgang dauerte überraschend nur kurze Zeit.
Während sich der Wasserspiegel langsam senkte, hatte die
wundersame Kraft Christine behutsam zu Boden gelassen. Nun stand sie
in der Schleusenhalle und wartete.
    Als sie einen Luftzug im Nacken spürte, wirbelte sie herum.
Er war kühl gewesen und noch feucht von der Nässe, aber
sein Vorhandensein zeugte davon, daß ihr Irrweg noch nicht zu
Ende war.
    Sie hatte erwartet, hinter sich jemand zu sehen, der mit ihrer
Entführung in ursächlichem Zusammenhang stand. Doch was sie
sah, war nur ein weiteres gähnendes Loch, aus dem dunkle
Lichtfinger nach ihr griffen.
    Und doch war dies eine Öffnung ganz anderer Art!
    Auf Anhieb war ihr die Künstlichkeit anzusehen, die nicht
ausbleibt, wenn Menschenhand etwas erschafft. Es prangte in der
Seitenwand des Ganges, in dem sie stand. Seine Ränder zeigten
nicht die mindestens Unebenheiten, sondern bildeten ein kreisrundes
Loch, an dessen linker Seite eine Drucktür befestigt war. Sie
hatte sich soweit geöffnet, daß man bequem in die
Finsternis eindringen und sich ebenso bequem wieder von ihr
lösen konnte.
    Doch nichts regte sich – sie stand nur offen da.
    Christine Olivier zögerte.
    Sollte sie der offensichtlichen Einladung Folge leisten oder
nicht? Vielleicht wäre es besser, wenn man abwartete, bis jemand
zu ihr kam, bevor sie sich ihrerseits auf den Weg machte?
    Die Französin schüttelte stumm den Kopf.
    Kurz sah sie sich in der Schleusenhalle um. Dann ging sie zur
Tür.
    Sie zitterte

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