Macabros 056: Die Leichenpilze kommen
geschrumpft. Dort standen Gewächse, die, wie er
meinte, vorhin noch nicht da gewesen waren.
Büsche?! Nein – die sahen eher aus wie Pilze. Aber
solche großen Pilze gab es doch nicht?!
Zeit, darüber nachzudenken, hatte er nicht.
»Doreen!« stammelte er unfaßbar. Sie tauchte nicht
mehr auf. Die Bewegung auf der Wasseroberfläche beruhigte sich
wieder.
Doreens Körper wurde konturenlos, verwischte und sank
tiefer.
Da zögerte Gerland keine Sekunde länger.
Er sprang ebenfalls in den Teich, tauchte ein und stieß
kraftvoll in die Tiefe vor.
Er griff nach vorn, in der Hoffnung, Doreen ertasten und an die
Oberfläche emporziehen zu können.
Tom Gerlands Augen waren geöffnet.
Schwach und schemenhaft schwebte der Körper im Wasser des
Teichs vor ihm. Doreen bewegte sich nicht. Normalerweise hätte
der Auftrieb sie nach oben drücken müssen. Aber sie sank
tiefer und entfernte sich mehr und mehr von seinen Händen. Er
erreichte sie nicht.
Die Zeit war gegen ihn.
Die Luft wurde ihm knapp. Tom Gerland ließ langsam die Luft
aus spitzem Mund entweichen, um den Druck in seinen Lungen zu
verringern.
Auch ihn hätte der Auftrieb nach oben drücken
müssen.
Aber das Gegenteil war der Fall!
Mürbe, trübe Schleier, als ob er in eine milchige
Brühe eintauche, glitten plötzlich von allen Seiten auf ihn
zu und hüllten ihn ein. Es war, als würden sich ihm
Geisterfinger entgegenstrecken, die – als sie ihn berührten
– zerflossen.
Aber Druck und Zug waren vorhanden.
Er wollte aufsteigen und konnte nicht mehr…
Die trübe Brühe hüllte ihn ein wie ein Netz.
Die lamellenartigen Schleier wichen zurück. Er befand sich
dabei. Wie Quallen tauchte es vor ihm auf.
Pilzköpfe… Stengel… die Formen wurden unscharf und
konturenlos. Gerland war von Grauen und Todesängsten
erfüllt.
Er konnte sich dem Zugriff nicht entziehen. Er war verloren und
würde elend ertrinken!
Er warf sich innerhalb des Pilznetzes herum, schlug und trat um
sich – und rutschte doch nur noch weiter in die Tiefe.
Wie ein Schlund kam ihm die Dunkelheit vor, in die er sank. Aber
dann fühlte er kein Wasser und keine Nässe mehr.
Er geriet auf einen harten, glatten Untergrund, auf dem er sich
nicht festhalten konnte.
Das fahle Gebilde, das sich undeutlich aus der glosenden
Dämmerung schälte, war gewaltig und hatte Ähnlichkeit
mit einem breiten, elfenbeinfarbenen Pfad, der sich schlangengleich
gewunden in eine unwirkliche Ferne und Tiefe bewegte.
Wie eine unheimlich geschlungene und gewundene Rutschbahn,
überdimensional, fremdartig und erschreckend wirkte dieses
endlose Gebilde auf Tom Gerland.
Darauf rutschte er mit rasender Geschwindigkeit in eine endlose
Tiefe. Die Beine angezogen, die Arme ausgestreckt und hilflos um sich
greifend, versuchte er halb ohnmächtig und blindwütig die
rasende Fahrt abzubremsen.
Auf diesem glatten Untergrund aber war das nicht möglich.
Er schrie. Seine Stimme hallte langgezogen und schaurig durch die
glosende Dämmerung, in die niemals ein Lichtstrahl der irdischen
Sonne gefallen war.
Die gewundene und verschlungene, in Serpentinen ins Nichts
führende Bahn schien auf dem Kamm eines fahlen Gebirges
geglättet worden zu sein.
Von Architekten, die nicht von dieser Erde stammten!
Die bizarre Welt, die sich vor ihm auftat, war mit nichts
vergleichbar, was er je gesehen hatte.
Schemenhaft nahm er die riesigen Pilze in einer unwirklichen Ferne
vor sich wahr, Pilze, die zu schweben schienen, die Lamellenschleier
wie Tentakel von sich warfen und durch die glosende Dämmerung
glitten. Lautlos und schwerelos – wie ein Astronaut im All. Es
war eine Reise durch eine bizarre, alptraumhafte, unterirdische Welt,
von der er nicht wußte, warum sie stattfand und wie sie
endete…
*
Er merkte, daß sie sich bewegte. Auch er lag noch wach.
»Kannst du nicht schlafen?« fragte er leise. Er wandte
ihr den Kopf zu.
Carminia Brado seufzte. »Nein. Ich muß ständig
denken.«
»An was?«
»Immer an dasselbe, Björn. Ich weiß, daß du
nicht hier bleiben kannst – und doch wünsche ich es
mir.«
»Eines Tages wird es so weit sein, Schoko.«
»Eines Tages… wann ist eines Tages, Björn? Wenn ich
alt und grau bin?«
»Ich weiß nicht die Stunde und nicht den Tag. Ich hoffe
nicht, daß so viele Jahre vergehen. Aber ganz
ausschließen kann ich es nicht.«
»Genau das erfüllt mich immer wieder mit
Nachdenklichkeit. Ich weiß, daß du nicht hier bleiben
kannst, daß die Stunden, die du hier
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