Macabros 056: Die Leichenpilze kommen
es nicht mehr die Stille und der Friede einer
paradiesischen Insel, die unsichtbar in einem scheinbar endlosen Meer
lag. Leben umgab sie.
Fünf Sekunden lang stand sie da wie erstarrt, begriff
nichts… und doch alles.
Ihre Gedanken, ihr Wollen… war Wirklichkeit geworden!
Und dann erkannte sie, was sie damit angerichtet hatte.
Sie trug nur den Slip und wußte nicht, was sie mit zwei
Händen nur in diesen Sekunden alles verbergen wollte.
Menschen liefen zusammen. Neugierige umringten sie im Nu.
Gelächter… Laute Stimmen. Zweideutige Bemerkungen…
Sie schrie leise auf und blickte sich gehetzt um.
Der Weg, egal wohin, war ihr versperrt.
Ein Verkehrsstau, der gleich zum Verkehrschaos wurde. Durch die
Unfallserie blieb die Stockung nicht aus.
Und sie hatte diese Situation bewirkt! Ihr Auftauchen hier war
schuld daran!
Fliehen! Wohin? Über die Straße? Da standen nur Autos
und Menschen. In ein Haus. In eine Bar… die Diskothek… der
Eingang zu einem Geschäft… unmöglich. Sie hätte
sich durch die Mauer aus Menschenleibern förmlich boxen
müssen.
Marlos! Nur Marlos kam infrage. Wenn Sie nur wieder dort
wäre!
Sie hätte vor Scham und Ratlosigkeit im Erdboden versinken
mögen.
Und da zerflossen die hektischen Bilder, die Stimmen und
Geräusche, die Gesichter… die großen, gierigen
Augen… das hektische Flackern der Neonlichter…
Dämmerung. Sternenlicht schimmerte sanft durch die offenen
Fenster. Eine einfache, bescheidene Umgebung. Ruhig. Schön.
Eine vertraute Stimme.
»Schoko!«
Sie war wieder zurück und fiel Hellmark zitternd in die
Arme.
»Was ist passiert? Wo kommst du her?« Er ahnte bereits
etwas. Doch er wollte es von ihr wissen.
»Ich kann es nicht fassen, Björn… ich war
dort… am Ziel meiner Wünsche.«
»In… Rio…?«
»Ja.«
Sie atmete schnell. Ihr Herz schlug heftig.
»Ich habe es mir gedacht. Ich wollte gerade nachkommen,
Schoko.«
Sie schrie leise auf und löste sich von ihm, ihn von oben bis
unten betrachtend. »Aber Björn! In deinem Aufzug. Du
trägst nicht mehr als einen khakifarbenen Slip
und…«
»Damit hätten wir beide genau
zusammengepaßt«, sagte der groß gewachsene, blonde
Mann, dem etwas von einem Wikinger anhaftete. »Und jetzt
erzählst du mir am besten alles der Reihe nach…«
Das tat sie. »Wie ist es geschehen, Björn? Warum ist es
geschehen? Können Wünsche so stark werden, daß sie
sich in Wirklichkeit verwandeln?«
»Man sagt, daß der Wille Berge versetzen kann. Bei dir
muß es so gewesen sein.«
»Ich bin fähig zur Teleportation?«
»Es scheint so. Vielleicht bist du schon eine ganze Zeit lang
dazu imstande, aber du hast bis zu dieser Stunde noch nichts davon
gespürt, weil du keinen ernsthaften Versuch unternommen hast.
Ein Zufall hat etwas an den Tag gebracht. Es ist ungeheuerlich und es
ist großartig, Schoko! Laß uns ein Experiment
machen.«
»Ich soll noch mal…«
»Nicht nur einmal. Noch mehrere Male. Ich muß etwas
herausfinden. Ich muß wissen: wo sind deine Grenzen.«
»Aber ich kann doch nicht so…«
Er schüttelte den Kopf und lachte. »Natürlich nicht
im Slip. Das war dein Gedanke. Wir gehen gemeinsam nach Rio, nach
Shanghai, nach Tokio, nach Bangkok oder auf die Bahamas… wohin
immer du willst. Aber zieh’ etwas Passendes an! Das soll nicht
heißen, daß du mir so nicht gefällst… Im
jetzigen Aufzug unterstreichst du deine ganze Erscheinung bestimmt
recht wirkungsvoll, du fällst vor allen Dingen auf. Das aber ist
genau das, was ich im Moment nicht möchte. Ich werde dich
begleiten. Ganz züchtig, wie sich das gehört!«
»Fein, dann gehen wir zuerst zum Kleiderschrank. Vielleicht
kannst du mich beraten, welchen Lendenschurz ich wählen soll.
Den kürzeren oder den etwas längeren?«
*
Carminia Brado war bestens aufgelegt, scherzte und lachte.
Ihr Kleiderschrank war zum Glück nicht so ärmlich
bestückt, wie sie eben humorvoll angedeutet hatte. Zu den
persönlichen Utensilien, die Hellmark seinerzeit aus dem
Nachlaß hierher auf Marlos gebracht hatte, gehörten
sämtliche Kleider.
Carminia entschied sich für ein saloppes, tief
ausgeschnittenes T-Shirt und für eine hauteng anliegende beige
Hose, deren Umschläge umgekrempelt waren. Dazu wählte sie
ein paar leichte, bernsteinfarbene Schuhe.
Björn führte mehrere Tests mit seiner geliebten Carminia
durch. Ohne daß er im wahrsten Sinn des Wortes selbst Hand
anlegte, bestimmte Carminia ihr Ziel.
Zuerst New York. Mitten in Manhattan malte
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