Macabros 059: Die menschenfressenden Schatten
Frau und drückte ihr das
Glas in die Hand. Lil führte es an die Lippen, trank und wollte
es wieder mit einer ruckartigen Bewegung über Bord werfen.
Halb in der Drehung hielt sie jedoch inne und lachte. »Du
sollst mich nicht kitzeln, Joe…« kicherte sie und warf ihm
aus den Augenwinkeln heraus einen Blick zu. »Ich bin da…
verdammt empfindlich…«
Sie zog die Schultern hoch und bog den Kopf ein wenig
zurück.
»Ich möchte bloß wissen, wie du… das machst,
daß du mich im Nacken kraulst… während du
noch…« Sie brach abrupt ab.
Joe hielt in der einen Hand die Sektflasche, mit der anderen fuhr
er sich gerade durch seine eigenen Haare und strich sie
zurück.
»Joe…«, sagte sie entsetzt.
Lil Svenson schien zu erstarren. Aus dem Kribbeln in ihrem Nacken
und auf dem Rücken wurde ein scharfer, brennender Schmerz.
Das dunkle Etwas ragte über die Bootswand hinweg, an der es
zu kleben schien.
Ein Schatten kam in die Höhe und wanderte an Lils Rücken
empor bis zu ihrem Kopf.
Mit einem Aufschrei wirbelte die Dänin herum.
Ein lebender Schatten! Aber da war keine Gestalt, die diesen
Schatten erzeugen konnte!
Es blieb nicht die Zeit, das Seltsame zu erkennen oder lange
Fragen zu stellen.
Die flache, schwarze Wand, an eine überdimensionale Hand
erinnernd, stülpte sich über die blonde Frau.
Lil schrie markerschütternd auf.
Der Schatten nahm sie völlig in sich auf, und mit hellem
Klirren zersprang ihr Glas auf den Decksplanken.
Lil verschwand schlagartig.
Joe sah die dunkle, pulsierende, flache Wand vor sich.
»Lil?« entfuhr es seinen Lippen, und er war von einer
Sekunde zur anderen völlig nüchtern.
Lil Svenson konnte keine Antwort mehr geben, denn sie war nicht
mehr da!
Ihr langgezogener Schrei stieg mit dem Schatten empor und wurde
vom Wind über die endlos scheinende See getragen, Richtung
Festland, das winzige Lichtpunkte ankündigten.
Für den Fernsehmoderator begann ein kurzes
Spießrutenlaufen.
Joe taumelte nach hinten, als weitere Schatten über die
Bootswand wehten.
Eisige Kälte überfiel ihn.
»Hilfe!« brüllte er und schrie so laut er konnte,
aber es hörte ihn niemand.
Unten die Musik, das Lachen und die Stimmen der Gäste
übertönten die Geräusche hier oben.
Er schlug um sich.
Er sah, wie die Flasche, die er wie eine Keule benutzte, in der
dunklen Wand vor ihm verschwand. Als er sie zurückzog, war sie
nur noch halb so groß. Die untere Hälfte und der Boden
waren verschwunden, und der letzte Rest Sekt floß auf den
Boden.
Joe lief es eiskalt über den Rücken.
Der Schatten wirkte wie ätzende Säure. Lautlos
zerfraß er das Glas, ebenso lautlos hatte er Lils
Körper…
Der Amerikaner durfte sich nicht vorstellen, wie sich die Dinge
wirklich abgespielt hatten, sonst wurde ihm schlecht.
Joe warf sich herum. Brüllend lief er über Deck und
sprang über Liegestühle hinweg, nachdem ihm die Flucht nach
unten in die Kabinen versperrt war.
Bizarre, an Hände erinnernde Schattenwesen verbauten den Weg
nach unten und bildeten eine dichte, zerstörende Mauer.
Joes Herz jagte, der Schweiß brach ihm aus allen Poren.
Er stürzte und stolperte über einen umkippenden
Liegestuhl.
In die Höhe kam Joe praktisch nicht mehr. Wie ein Mantel
senkte sich die schwarze, schwerelose Wand über ihn.
Durch den Körper des Sprechers lief es wie elektrischer
Strom. Er rollte sich noch herum und streckte abwehrend beide
Hände nach vorn.
Er stieß in Nichts… Da konnte er niemand
wegdrängen, niemand bekämpfen.
Da war – nichts! Und doch gab es etwas, das ihn
vernichtete…
Sein Schrei wehte über Deck, als es Joe schon nicht mehr gab.
Der Schrei wurde wie der Lil Svensons übers Meer getragen, als
der Schatten seinen Weg geisterhaft und schnell über das Wasser
fortsetzte, während andere Schatten in die Jacht
vordrangen…
*
Sie waren lustig, scherzten und tanzten. Die Stimmung im Bauch der
Jacht »Carat« befand sich auf dem Höhepunkt.
Auf einem Tisch stapelten sich die Geschenke für Curton, der
diesen Geburtstag mit vollen Zügen genoß.
Er lachte. Sein blendendweißes Gebiß, mit dem er
für jede Zahncreme Reklame hätte machen können, war
makellos. Ob alle Zähne noch echt waren, wußte zwar
niemand. Curton jedenfalls behauptete es.
Der Schauspieler tanzte und flirtete. Er tat das mit neuen
Freundinnen und den alten, die ihn nie ganz vergaßen und die er
scherzhaft und in überschwenglicher Laune »zu seiner
Familie gehörig« bezeichnete.
Curton
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