Macabros 064: Es erwacht der Ursen-Wahn
wurde.
Sein Herzschlag erfolgte ruhiger und kräftiger. Der Druck in
seinem Schädel ließ nach. Die Taubheit verschwand.
Dann schlug er die Augen auf.
Das erste, was er sah, war Pepes Gesicht. Der Junge, den er einst
aus den Urwäldern Yukatans elternlos und vereinsamt mitgebracht
hatte, blickte ihn aus großen, leuchtenden Augen an.
»Pepe?« fragte Björn mit matter Stimme und
ungläubig. »Bist du’s wirklich? Wie kommst du denn
hierher, Junge?«
Es herrschte ein schummriges Licht. Aus den Augenwinkeln nahm
Hellmark feuchte Wände wahr und fackelähnliche
Beleuchtungskörper, die in Wandlöchern steckten und
blakendes Licht verbreiteten. Pepe und er befanden sich in einer
kahlen Zelle. Hellmark registrierte, daß er auf dem nackten
Boden lag.
Muffiger Geruch stieg in seine Nase.
»Ich bin Carminia gefolgt, Björn«, sagte der
dunkelgelockte Knabe. »Es war alles so merkwürdig. Da
hab’ ich mir Gedanken gemacht. Carminia hat sich
verändert…«
Björn Hellmark richtete sich auf. Er preßte mehrere
Male seine Augen fest zusammen, ehe er klar sehen konnte.
Dies war tatsächlich eine Art Verlies. Und erst jetzt, wo
sein Blick wieder klar war, konnte er sehen, daß er sich mit
Pepe nicht mal in einundderselben Zelle befand.
Die Gefängniskammern, in denen sie untergebracht waren,
maßen nur wenige Quadratmeter und waren voneinander durch
massive Eisenstäbe getrennt.
Björn Hellmark streckte seine rechte Hand durch die
Gitterstäbe und fuhr seinem Adoptivsohn über das dichte
Haar. »Was weißt du von Carminia, Pepe? Wie ist das alles
gekommen? Komm’ – erzähl’ es mir…«
Pepe wirkte ernst. Was er erlebt hatte, war etwas nicht
Alltägliches. Er berichtete vom Verhalten Carminias, die ohne
ein Wort zu sagen einfach von Marlos verschwunden war.
»Ich dachte mir sofort, daß sie die Absicht hatte, dich
hier auf Kh’or Shan zu treffen. Aber wenn sie diesen Gedanken
ganz bewußt gefaßt hatte, hätte sie Jim und mir
etwas davon erzählt. Und weil sie das nicht getan hat, bin ich
ihr einfach gefolgt. Dann habe ich etwas erlebt, Björn, was mir
angst macht…« Stockend berichtete er von den Dingen, die
passiert waren.
Ebenfalls auf dem sichtbaren Teil der mysteriösen Insel
Kh’or Shan angekommen, mußte er die Erfahrung machen,
daß Carminia – ihn verstieß. Sie behandelte ihn wie
einen Fremden, wie einen Feind…
Es gab eine erschreckende Parallele zu dem Erlebnis, das auch
Björn Hellmark gehabt hatte.
Ganz bewußt hatte der dunkelhäutige Junge alles
mitbekommen. Die Begegnung mit den Feuerbestien… die Lassos mit
den grauen Kugeln… das Erwachen in dieser kahlen
Gefängniszelle…
Die Lassokugeln, die sich um ihre Körper geschlungen hatten,
waren nun verschwunden. Man hatte sie ihnen abgenommen. Die Kugeln an
den Schnüren machte Björn für das Verschwinden
jeglicher Energie verantwortlich, deren Fehlen ihn schließlich
völlig hilflos machte.
Was er durch Pepe erfahren hatte, war nicht dazu angetan, seine
Stimmung zu bessern.
Im Gegenteil! Die Frau auf dem Feuerthron, die Herrscherin, die
sich Loana nannte, war in der Tat keine Vision, keine Vorspiegelung
durch dämonische Kräfte. Loana war niemand anders als seine
geliebte Carminia!
Wie aber konnte so etwas sein?
Hellmark stand vor einer völlig neuen, unerklärlichen
Situation. Daß Carminia sich als Loana bezeichnete und als
Loana lebte, mußte seine Bedeutung haben. Wer oder was
veranlaßte sie dazu, so zu denken und zu handeln? Das alles
widersprach doch vollkommen dem wahren Sinn, dem wahren Wesen und
Charakter jener Frau, deren Redlichkeit über alle Zweifel
erhaben war.
Der blonde Mann mit dem braungebrannten Gesicht und den klaren,
blauen Augen starrte durch die Gitterstäbe. Dahinter begann ein
Wirrwarr von Durchlässen und Gewölben, so daß er
unwillkürlich an ein Labyrinth erinnert wurde.
Hin und wieder nahm er in der Ferne unregelmäßiges
Flackern wahr. Das ließ darauf schließen, daß dort
derartige Fackeln wie hier in der Zelle brannten.
Hellmark atmete tief durch. Sein Schwert hatte man ihm
weggenommen. An seinem Gürtel fehlte der Lederbeutel. Und damit
der Trank der Siaris. Er tastete in seinen Tasche. Die
Dämonenmaske war verschwunden.
Aber an seinem Armgelenk trug er noch Velenas Armreif.
Den hatten seine Gegner übersehen. Eine Chance, eine Hoffnung
für Pepe und ihn?
Erst in naher Zukunft konnte diese Frage beantwortet werden.
»Wie fühlst du dich, Junge?« fragte er
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