Macabros 065: Xantilon - Urkontinent aus der Asche
geraume Weile, ehe Björn erkannte, woran man
ihn gefesselt hatte. Es handelte sich um eine totemartige Säule,
die mit ineinander verschlungenen Reliefbildern versehen war.
Diese Reliefs stellten Ritter, Ursen und bekannte und unbekannte
Dämonen dar, die auf einem riesigen Schlachtfeld miteinander im
Kampf lagen. Inmitten der sinnverwirrenden Ereignisse sah man immer
wieder riesige Vögel mit großen, ausgebreiteten Schwingen
und kalten, gefährlich glitzernden Augen. Selbst hier im Gestein
war der Blick des Bösen von dem unbekannten Künstler
präzise und auf schaurig-faszinierende Weise genau
getroffen.
Der Boden unter seinen Füßen schwankte.
Wellenförmige Bewegungen liefen darunter hindurch.
Hellmark stand mit dem Rücken so gegen den steinernen
Totempfahl, daß er mit dem Blick nicht auf das freie Meer sehen
konnte, dessen plätschernde Wellen irgendwo unmittelbar hinter
ihm monoton an Land spülten.
Er konnte zum vorderen Ende der Tempelhalle sehen – genau zu
einem riesigen Thron, auf dem Sequus saß. Ein teuflisches
Grinsen beherrschte seine Züge.
»Eines ist immer wieder erstaunlich«, sagte Sequus
höhnisch. »Von Kaphoon schon erzählte man sich
Heldentaten – es scheint, als hätte ein gewisser Björn
Hellmark die gleichen Anlagen und Talente geerbt. Kaphoon war ein
Kämpfer, ein Draufgänger, ein Abenteurer. In vielen
Situationen, wo man meinte, daß für ihn das Ende gekommen
sei, hatte er es immer wieder verstanden, voller Geschick einen
Ausweg zu finden. Kh’or Shan war für Kaphoon schon immer
ein heißes Pflaster. Eine Welt voller Rätsel. Diese
Rätsel hat er nie gelöst. Und ich werde dafür sorgen,
daß er auch jetzt – nach seiner Wiedergeburt nach
über zwanzigtausend Jahren – nicht dahinterkommt, was sich
eigentlich damals auf Xantilon wirklich abspielte…«
Hellmarks Lippen bildeten einen schmalen Strich in seinem ernsten
Gesicht. Der blonde Deutsche spannte seine Muskeln an. Er versuchte
durch mehrere ruckartige Spannungen und plötzliches Loslassen
seine Fesseln zu lockern. Doch die waren hart und unbarmherzig
angezogen.
Sequus lachte leise. Hellmark meinte im ersten Moment, daß
dem König der Ursen seine Befreiungsversuche nicht entgangen
waren. Doch der Geschuppte amüsierte sich über etwas ganz
anderes, wie Björn gleich darauf feststellte.
»Ursprünglich hatte ich vor, dich auf der Stelle
töten zu lassen«, sagte Sequus grausam. »Aber manchmal
ändert man eben seine Meinung. Du bist zu einem
äußerst günstigen Zeitpunkt hier eingetroffen. Die
Zeit zum Aufbruch des dritten Siegels ist gekommen. Ich möchte,
daß du davon Zeuge wirst. Und dann wird dein Leben enden. Du
sollst noch den Triumph erleben, daß jene Welt, auf der
Molochos seine ersten Pläne schmiedete, neu auftaucht. Damit
wird ein weiterer Brückenkopf geschlagen, von dem aus dann das
endgültige Gericht der dämonischen Herrscher über die
erfolgen wird, die seinerzeit Xantilons Feuersturm entkamen. Zu viele
konnten sich retten. Dies war Molochos’ Fehler…«
Hellmark starrte auf den. Sprecher. Das Gesicht des Deutschen war
wie aus Stein gemeißelt, und er schien in seiner Ratlosigkeit
selbst wie ein Teil des felsigen Totempfahl zu wirken.
Zum ersten Male in seinem Leben vernahm Björn Kritik aus dem
Mund eines Dämonischen, die selbst einen Dämonischen
betraf.
Hinter allen grausamen und unheimlichen Ereignissen, die durch
dämonische Helfershelfer in allen Teilen der Welt irgendwann
während der letzten Jahrhunderte oder Jahrtausende
ausgeführt worden waren, steckte Molochos – dieser
Schluß zumindest wäre logisch gewesen. Molochos war ein
Mensch der ersten Stunde, der sich mit Leib und Seele der
Dämonengöttin Rha-Ta-N’my verschrieb, um gnadenlos und
unbeschränkt über viele Welten, Zeiten und Räume
herrschen zu können.
Auf Xantilon, das wie das legendäre Atlantis, wie Galameria
und Lemuria einer der Urkontinente der Erde gewesen war, hatte
Molochos, der Schwarze Priester, seinen Angriff gestartet. Es war ein
erster Versuch, alles Leben zu unterjochen und zum absoluten und
alleinigen Herrscher zu werden.
Nur zum Teil war ihm geglückt, was er sich damals vornahm.
Instinktiv fühlte Björn, daß er in seinem Leben als
Kaphoon offensichtlich manches zerstört hatte, was Molochos
aufbaute, und das ihn schließlich den absoluten
Herrschaftsanspruch kostete.
So alt wie die Geschichte Xantilons war die Feindschaft zwischen
dem ihm unbekannten Herrscher, dem man den Beinamen
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