Macabros 079: Die Nachtseelen von Zoor
eurem Kreis?«
Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen: Schöne
Frauen überall! Sie saßen auf samtgepolsterten
Bänken, allein oder mit Kunden, sie waren an der Bar
anzutreffen, wo sie – aufreizend die langen Beine
übereinander geschlagen – darauf warteten, angesprochen
oder durch einen kleinen Wink an einen Tisch gebeten zu werden.
Am Ende der nierenförmig geschwungenen Theke saß sie!
Von mehreren Männern umringt… Unwillkürlich weiteten
sich Jacques Belmonds Augen.
Eine Frau von solch aufreizender Schönheit hatte er nie zuvor
gesehen.
Sie hatte langes, schwarzes Haar, das Gesicht eines Engels und die
Figur einer Göttin. Es gab nicht den geringsten Makel daran. Das
flammendrote, hauchdünne Gewand, das sie lose um den Körper
geschlungen hatte, gab mehr preis, als es verdeckte.
»Da ist sie«, entfuhr es Belmond unwillkürlich.
Janine nickte. »Oui, das ist sie, die Frau, von der man
glaubt, daß sie von Tag zu Tag schöner
wird…«
»Sie ist bildschön! Wie kann sie da noch schöner
werden…« Er erhob sich, als würden unsichtbare
Hände ihn langsam in die Höhe ziehen. »Sie soll zu mir
kommen. Ich möchte, daß sie bei mir am Tisch
sitzt…«
Janine lachte leise. »Sie wird gerade umworben, das Angebot
regelt die Nachfrage. Ich kann mir vorstellen, daß sie schon
einen recht anständigen Preis ausgehandelt hat. Jeder Tag hat
schließlich nur eine einzige Nacht.«
»Ich werde jeden Preis überbieten…« Jacques
Belmond sagte es wie in Trance. »Sie soll herkommen! Wie
heißt sie?«
»Das ist Danielle – Danielle de
Barteaulieé…«
*
Der Mann mit der prächtigen Glatze war in unmittelbarer
Nähe des Gare St. Lazare angekommen.
Auf dem Droschkenplatz standen zwei Taxis. Rani Mahay steuerte auf
das vorderste zu.
»Ich bin erst vor kurzem in Paris angekommen, Monsieur«,
sagte er freundlich. »Ich habe Lust, mir ein bißchen die
Zeit zu vertreiben. Ich bin fürs Vergnügen! Vielleicht
können Sie mir einen Tip geben und mich
hinfahren…«
Der Chauffeur nahm seine angekaute Zigarre aus dem Mundwinkel, zog
wie ein Hase schnuppernd die Nase hoch und nickte.
»Natürlich kann ich das, sogar mehr als einen. Kommt ganz
darauf an, was Ihnen das Vergnügen wert ist.«
»Ich möchte dahin, wo es einen tollen Drink gibt und die
passenden Mädchen dazu…« grinste Rani Mahay.
»Gibt es hier alles. In Hülle und Fülle. Da ist das
’Trocadero’, ’Rasputin’, ’Bar
Melancholie’…«
»Um Himmels willen, nein«, fiel der Inder dem
aufzählenden Chauffeur ins Wort. »Das letzte hörte
sich ja schrecklich traurig an.«
»Aber es geht dort heiter zu. Sie sollten es sich mal
anschauen. Ich fahre viele Interessenten hin…«
»Moment! Da fällt mir was ein…« sagte Rani
Mahay scheinbar ganz zufällig, griff in die Tasche und nahm ein
festeres Stück Papier heraus, das die Größe einer
Postkarte hatte. Es war in der Mitte geknickt. Rani klappte es
auseinander. »Die Skizze wurde von einem Freund
angefertigt«, sagte er schnell. »Sie zeigt ein
Mädchen, das er hier in Paris kennenlernte und von der er
einfach begeistert war. Da Sie viele Leute fahren, die bestimmte
Auskünfte von Ihnen erwarten, habe ich die Hoffnung, daß
Sie das Gesicht dieser Frau schon mal gesehen haben…«
»Zeigen Sie her, Monsieur…«, entgegnete der Fahrer
interessiert und stutzte einen Moment. »Die ist aus dem
’Venus’…«, sagte er, kaum daß er die Skizze
gesehen hatte. Rani Mahay war erstaunt. Die Zeichnung stammte von
Björn. Aus der Erinnerung hatte der Freund seinerzeit das
Konterfei Danielle de Barteaulieé angefertigt. Eine Fotografie
der schönen Französin existierte nicht.
Es war erstaunlich, wie genau Hellmark den Ausdruck dieses
schönen Gesichts mit den großen, dunklen Augen getroffen
hatte.
»Kennen Sie ihren Namen?« wollte der Inder wissen.
»Man nennt sie nur die ’Comtesse’. Vielleicht ist
es wirklich eine Adlige - wer weiß. Das Mädchen verkehrt
in den Kreisen der oberen Zehntausend. Das ist natürlich nicht
offiziell bekannt. Aber jeder, der mit ihr zu tun hat, weiß
das…«
»Fahren Sie mich ins ’Venus’«, sagte Mahay und
setzte sich auf den Beifahrersitz. »Das haben Sie mir zwar nicht
empfohlen…«
»Aber ich hätte es noch getan«, fiel der Chauffeur
ihm ins Wort, während er den Wagen startete. »Sie haben
mich nicht zu Ende reden lassen…«, grinste er.
Eine Viertelstunde später bog das Taxi in die Straße
ein, wo mit großen beleuchteten
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