Macabros 080: Die Waben-Monster
wußte es genau. Da hatten sie noch miteinander
gesprochen.
Der Fotograf hatte einen Auftrag des Fabrikbesitzers angenommen,
der eine Bilder-Serie vom Ausbau seiner Fertigungsstätte
besitzen wollte. Der stadtbekannte Nevieux war dazu auserkoren,
für die Familienchronik der Dupoments die Fotos zu liefern.
So besaß er – wie er dem Wohnungsnachbarn ebenfalls
berichtet hatte – die Schlüssel zu allen Werkshallen. Man
hatte sie ihm zu treuen Händen überlassen, damit er
jederzeit – auch nach Ende der offiziellen Arbeitszeit –
die Hallen betreten konnte.
Auch Abend- und Nachtaufnahmen waren erwünscht. Selbst der
Technik konnte der sensible Nevieux eine romantische, stimmungsvolle
Seite in seinen Bildern abgewinnen.
Er besaß auch die Schlüssel zu einzelnen Baumaschinen,
um sie – wenn es notwendig sein sollte – ins ›rechte
Licht‹ zu rücken…
Wollte Nevieux jetzt mitten in der Nacht seine Arbeit wieder
aufnehmen? Zuzutrauen war es ihm. Aber doch nicht in diesem Zustand!
Merkte der Mann denn nicht, wie krank und hinfällig er war?!
Der Fotograf verschwand um den dunklen, mit abgerissenen Plakaten
beklebten Bretterzaun. Sand knirschte unter den Füßen
Nevieux’.
Die Unbekannte war ebenfalls noch immer auf der
Bildfläche.
Sie blieb Albert Nevieux auf den Fersen und verschwand ebenfalls
um den Bretterzaun, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Die
Beobachtung des sich so seltsam verhaltenden Mannes schien ihre ganze
Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.
Der zweite Verfolger verhielt im Schritt.
Er war zufrieden damit, daß er bisher nicht entdeckt worden
war. Das Ganze behagte ihm nicht so recht, und doch war die Neugier
stärker in ihm als die Ängste, die ihn erfüllten.
Er konnte in die verrücktesten Situationen geraten, wenn man
auf ihn aufmerksam wurde.
Wenn hier etwas vorging, was nicht mit dem Gesetz in Einklang
stand, wurde die Lage für ihn sogar gefährlich.
Albert Nevieux war ein rechtschaffener Mann. So jedenfalls glaubte
man in dem Haus, in dem er wohnte.
Aber Genaues wußte man eigentlich nicht über ihn.
Außer mit einigen bestimmten Personen pflegte Nevieux keinen
besonderen gesellschaftlichen Umgang.
Der Mann gab sich einen Ruck und bog ebenfalls um den
Bretterzaun.
Da packten ihn die beiden Hände.
»Was ist los mit Ihnen«, zischte eine aufgebrachte,
gedämpfte Stimme.
Der Überraschte wollte aufschreien. Doch die dunkle Gestalt
im Kernschatten neben dem baufälligen Bretterzaun schien auf
eine solche Situation vorbereitet.
Ihre Hand rutschte blitzschnell in die Höhe und preßte
sich fest auf den Mund des Mannes.
»Keinen Laut! Verraten Sie uns nicht durch Ihr unbedachtes
Verhalten!«
Es war die Frau, die zu ihm sprach. Der Mann war erstaunt, welche
Kraft in dem Körper steckte.
»Ich laß’ jetzt los. Wenn Sie schreien, passiert
etwas… also, was ist los? Warum stiefeln Sie ständig hinter
mir her?«
»Es… es ist nichts«, stammelte der verhinderte
Detektiv. »Ein Mißverständnis – weiter nichts.
Ich wollte wissen… was mit Monsieur Nevieux ist, was er
eigentlich will…«
»Und was ist mit ihm? Was will er?«
Der Mann sah das Gesicht der ihm gegenüberstehenden fremden
Frau nur schwach aus der Dunkelheit leuchten.
Die Unbekannte war einen Kopf kleiner als er, sehr wendig und
erstaunlich kräftig. Sie hatte kurzes, dunkles Haar und schien
etwas von Jiu-Jitsu und Karate zu verstehen. Jedenfalls verstand sie
es, zuzupacken…
»Ich… weiß nicht«, unwillkürlich senkte
auch er die Stimme.
Mit aufgerissenen Augen starrte er über die Schultern der
Fremden.
Dort vorn ging Nevieux.
Er stieg über Bauschutt, umrundete einen schweren
Raupenschlepper, der mitten im Hof stand, und näherte sich dem
hohen Baukran, der wie ein urwelthafter Saurier in den
nächtlichen Himmel ragte.
Der Fotograf warf nicht einen Blick zurück. Offenbar hatte er
seine beiden Verfolger bis jetzt noch nicht wahrgenommen.
»Wer sind Sie?«
»Henry Musk…«
»Von der Polizei?«
»Wie kommen Sie darauf, Mademoiselle? Seh’ ich so aus?
Ich bin ein biederer Bürger – und einfach neugierig
geworden auf das Verhalten Monsieur Nevieux’.«
»Sie finden es also nicht normal?«
»Finden Sie es normal, wenn ein Mensch nach einer Reise
wochenlang seine Wohnung nicht verläßt, krank und elend
aussieht, wenn man ihn dann endlich wieder sieht und nicht mal
grüßt?«
»Das ist außergewöhnlich, Monsieur. Richtig! Und
eben aus demselben Grund bin ich hinter Nevieux her. Er
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