Macabros 080: Die Waben-Monster
Rutschte in die dunkle,
unbekannte Welt des Riesenbaums, von dem ein Teil ausgehöhlt
war.
Wohin führte sie?
Es kam der Brasilianerin vor, als wäre eine Ewigkeit
vergangen, bis die Rutschbewegung endlich zu Ende war.
Carminia Brado wurde durch die Luft geschleudert und schlug
unsanft auf.
Sie fühlte weichen Boden unter sich.
Eine Zeitlang blieb sie liegen und erwartete aus der Finsternis
einen Angriff oder sonst ein Ereignis.
Doch alles blieb still.
Die Rutsche war irgendwann von jemand zu einem ganz bestimmten
Zweck gebaut worden. Waren die Erbauer längst ausgestorben?
Carminia fühlte sich schwach und ausgepumpt.
Wenn sie wenigstens eine Taschenlampe bei sich gehabt oder es eine
andere Lichtquelle gegeben hätte, wäre ihr wohler zumute
gewesen.
Diese Dunkelheit lag über ihr wie ein schwarzer Mantel.
Es schien, als hätte es nur dieses Gedankens bedurft.
In der Ferne glomm ein schwaches Licht.
Carminia richtete den Blick dorthin.
Langsam erhob sie sich, noch ging ihr Atem
unregelmäßig, aber sie gönnte sich keine weitere
Pause.
Konnte es sein, daß sie am Fuß des Baumes angekommen
war, daß es irgendwo einen Ausgang aus diesem Schacht gab, der
in die Wildnis führte, in den Kreis der blanken, schwarzen
Steine?
Langsam wankte sie durch die Finsternis, dem schwachen Schimmer
entgegen.
Es handelte sich um eine Wand, die groß und hoch vor ihr
emporragte.
Sie schimmerte honiggelb. Eine riesenhafte Wabenwand…
Carminia stand und ließ ihren Blick in die Runde gehen.
Da waren viele Waben. Mindestens dreißig bis vierzig Meter
hoch. Sie standen wie Bauwerke einer fremdartigen Stadt auf einem
unbekannten Stern. Einige Waben hatten die Dicke von großen
Häusern. Man konnte durch die Wabenkammern von einem Ende zum
anderen sehen und sah hinten wieder neue Wabengebilde.
Fasziniert trat Carminia näher.
Mit einer solchen Entdeckung hatte sie nicht gerechnet.
Die Wabengebilde konnten nicht wie Pilze aus dem Boden gewachsen
sein. Jemand hatte sie errichtet.
Ein Gedanke stand sofort im Mittelpunkt ihrer
Überlegungen.
Überdimensionale Bienen… oder Wespen…
Sie lebten in der Erde und waren ausgeflogen. Aber die Kenntnisse,
die sie über Bienenvölker besaß, ließen den
Schluß zu, daß sie möglicherweise irrte. Die
Stöcke waren niemals völlig verlassen, eine Anzahl von
Bienen oder Wespen war immer vorhanden, um ihre Königin zu
schützen und zu hegen.
Hier aber war überhaupt nichts mehr.
Ausgestorben – wie das Urwalddorf, dachte sie.
Sie warf einen Blick durch eine der untersten Waben, die
groß genug waren, um einen ausgewachsenen Menschen bequem
aufzunehmen.
Carminia Brado erblickte in dem honigfarbenen Schimmern etwas, das
sie erneut überraschte.
Auf der anderen Seite der Wabe – etwa vier Meter von ihrem
Standort entfernt – war der Boden nicht so dunkel, wie auf
dieser.
Bunt schillerten Blüten und Blumen von verwirrender Vielfalt
zwischen den verlassenen Wabenwänden, die eine ganze Stadt
darstellten.
Ein riesiger Garten? Begann dort drüben der Ausgang in die
Freiheit?
Freiheit – was für ein Wort! Wieder mal zeigte sich, wie
relativ alles war.
Carminia Brado war eine Frau, die schnelle Entschlüsse
faßte und in die Tat umsetzte.
Kurzentschlossen kroch sie in die Wabe hinein, durch die sie wie
durch einen sechseckigen Tunnel starrte. Sie wollte die andere Seite
erreichen.
Die Fläche unter ihr fühlte sich klebrig an. Ihre Knie
blieben haften, ihre Hände. Zähe Fäden zog sie mit
empor, wenn sie ihre Glieder vom Untergrund abzuheben versuchte.
Carminia hatte das Gefühl, durch eine schlammige
Sumpflandschaft zu kriechen. Etwa in der Mitte der Wabe, auf halbem
Weg zur anderen Seite hinüber, hatten die Schwierigkeiten
begonnen.
Nun blieb es sich gleich, ob sie umkehrte oder ihren Weg
fortsetzte.
Doch das war einfacher gesagt als getan.
Ihre Hände klebten plötzlich am Boden, und sie konnte
ziehen wie sie wollte – es gelang ihr nicht, sie
abzulösen!
Die Fäden waren wie überdimensionale, schleimige
Würmer, die über selbständiges Leben verfügten.
Sie krochen über sie hinweg, über ihre Armgelenke, ihre
Unterarme und umschlangen wie bösartig und rasend schnell
wachsende Schlingpflanzen ihren nackten Beine.
Die Frau versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Sie kam nicht
mehr los. Die zähen, elastischen Fäden hielten sie fest und
legten sich nur noch dichter um sie.
Wie ein Kokon…
Sie lag ausgestreckt da, war umwickelt von Kopf bis Fuß
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