Macabros 081: Wrack der namenlosen Götter
unterwürfiger Haltung
vor den »Göttern« zu sehen, die in wallenden
Gewändern oder mit geheimnisvollen Mitbringseln in Händen
oder sogar geflügelt dargestellt waren. Aber nicht eine einzige
der dargestellten Personen erinnerte auch nur entfernt an die
»Seepferdähnlichen«, die Chancell sich aufgrund der
Skelettfunde in Gedanken ausgemalt hatte.
Viel Widersprüchliches gab es in diesem Schiff.
Er stand vor einer weiteren Entdeckung, die ihm den Atem
raubte.
Ein Mann stand vor ihm. Groß wie ein Mensch, klare, strenge
Gesichtszüge mit hoher Stirn, einer geraden, edlen Nase –
und doch kein Mensch!
Er trug eine helmartige Kopfbedeckung, die man ohne große
Phantasie sofort als »Raumfahrhelm« bezeichnen mochte. Der
Helm war mit technischem Beiwerk versehen, das symbolhaft auf dem
breiten Rand angebracht war.
Helm, Beiwerk und Mensch – waren aus massivem Stein, keine
vertrocknete Mumie, sondern eine Statue, die in einem Sarkophag
transportiert worden war!
*
»Er bleibt lange«, murmelte Tuna Madanga. Der Indio
wirkte nervös.
Er warf einen Blick zurück. »Ich gehen – nach Frau
schauen. Geister vielleicht zürnen…«
Na also, dachte Amalla. Es kommt ja genau wie erwartet.
»Ist gut«, nickte der Spanier. »Ich warte hier auf
Chancell.«
»Aber auch wirklich hier bleiben. Kein Mensch wissen, was
Forscher-Mann in Wrack sieht, was er erlebt – vielleicht auch
nicht mehr erlebt – da vielleicht schon tot…«
Gute Aussichten waren das nicht. Amalla hatte den
Indio-Häuptling in Verdacht, daß er absichtlich schwarz
malte, um sie bei der Stange zu halten.
Juan Lopez Amalla blickte dem Davongehenden nach.
In der Dunkelheit sah er Tuna Madanga mit einem der anderen
Eingeborenen tuscheln. Die beiden Männer steckten die Köpfe
zusammen. Dann verschwand Madanga, und der andere blieb.
Von dem dritten im Bund war nichts zu sehen, aber zu hören.
Im Gebüsch weiter hinten Richtung Lagerplatz knackten
Äste.
»Ich schlechtes Gefühl«, rief Tuna aus der
Dunkelheit, als müsse er sein Vorgehen irgendwie erklären.
»Hören Geräusche…«
Ich auch hören Geräusche, dachte Amalla im stillen.
Geräusche machen Kamerad – vielleicht auch pirschen heran
an schönes blondes Frau…
Angelique würde den Wink verstanden haben. Wenn Tuna
auftauchte, würde sie ihn hinhalten.
Amalla zog es zu Chancell. Neugier und Unruhe erfüllte
ihn.
Er näherte sich dem einen Eingeborenen, der in der Dunkelheit
stand.
»Ich muß etwas wissen…«, sagte der Spanier in
der Eingeborenensprache.
Er stand dem Indio gegenüber, den er erst gar nicht zu
Antwort kommen ließ. Amallas Worte waren noch nicht verklungen,
als der schon handelte.
Seine Rechte schoß nach vorn, traf die Kinnspitze seines
Gegenüber genau. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der
Mann in die Knie. Amalla fing den Fallenden auf und schleifte ihn ins
Gebüsch. Er kannte die Wirkung seiner Schläge. Für die
nächste Stunde war der Eingeborene nicht mehr ansprechbar. Das
sollte reichen. Und nachher konnte er sich immer noch aus der
Affäre ziehen, indem er behauptete, ebenfalls plötzlich
Geräusche gehört und in der Dunkelheit den Feind nicht
richtig erkannt zu haben. Da hatte er irrtümlicherweise doch
tatsächlich den erwischt, der eigentlich zu seinem Schutz
abgestellt worden war.
Der Spanier blickte sich in der Runde um und war auf Abwehr
eingestellt für den Fall, daß er den zweiten Indio
tatsächlich übersehen haben sollte.
Alles blieb ruhig.
Juan Lopez Amalla versteckte das zweite Gewehr ebenfalls im
Gebüsch und lief mit dem anderen unterm Arm zu dem knorrigen
Baum zurück, der als Brücke über den Sumpf
fungierte.
Plötzlich peitschte ein Schuß durch die Stille.
Ein Todesschrei folgte und Amalla warf sich herum. Aufruhr im
Lager!
Der Spanier lief wie von Sinnen den engen Pfad entlang. Zweige
streiften sein Gesicht.
Angelique! Er glaubte, daß sie geschrien hatte. Sie befand
sich in Gefahr! Aber es war doch kaum damit zu rechnen, daß
Tuna und sein Begleiter…
Er tauchte am Ende des Weges auf und prallte wie vor einer
unsichtbaren Mauer zurück.
»Oh, mein Gott… nein«, entrann es seinen Lippen,
als er sah, was los war…
*
Chancell hielt den Atem an.
Einen Moment glaubte der Schweizer, ein Geräusch vernommen zu
haben. Es hatte sich angehört wie ein ferner, gedämpfter
Schuß.
Aber nein, da war nichts. Es war alles nur Einbildung gewesen.
Friedrich Chancell setzte seinen Weg durch das Schiff fort.
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