Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige
düstere Insel zu, deren Umrisse
in der Dunkelheit kaum mehr wahrzunehmen waren.
Rani änderte die Richtung und kraulte wie von Sinnen durch
das nächtliche Meer.
Die Fremde war jetzt nur noch ein heller Punkt. Mahay gewann den
Eindruck, daß sie sich nicht mehr so schnell von seinem
Standort entfernte.
Der Zwischenraum blieb verhältnismäßig
konstant.
Mahay zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen.
Da war er so nahe am Ziel gewesen – und nun entwischte sie
ihm doch noch!
War sie ›nur‹ eine Erscheinung – oder ein Wesen aus
Fleisch und Blut? Auf welche Weise versetzte sie ihren Körper
hierher – und wo gehörte sie wirklich hin? Vor allem –
wer war sie? Warum tauchte sie in der Dunkelheit hier auf?
Von allen Fragen war es für Rani noch am leichtesten, die
letzte zu beantworten.
Diese unbekannte Frau war wie ein Köder, ein süßes
Gift, das Menschen anlockte, die sie mal gesehen hatten. Diesem Gift
waren Alain Moreau und Bertrand Dupont zum Opfer gefallen.
Das aber mußte einen Sinn haben. Nichts geschah ohne…
selbst in der Welt der finsteren Mächte, Geister und
Dämonen nicht.
Mahay sah ein, daß es unmöglich war, der Fremden
nachzuschwimmen. Alles wies darauf hin, daß deren Ziel die
Felseninsel war. Bis dahin aber konnte er es nicht schaffen, ohne
daß seine Kräfte erlahmten.
Daraus zog er die Konsequenzen.
»Jetzt drehen wir den Spieß einfach um, meine
Liebe«, flüsterte er, schluckte Wasser und spuckte es
wieder aus. »Diesmal werde ich es sein, der dich erwartet –
aber dummerweise wirst du nichts davon wissen.«
Er konzentrierte sich auf die unsichtbare Insel.
In der gleichen Sekunde verschwand er aus dem Wasser und kam
triefend vor Nässe zu Hause an.
Die wärmende Sonne über Marlos schien angenehm auf seine
Haut.
Es blieb ihm jedoch nicht viel Zeit, diese Wärme
auszukosten.
Rani hatte sich absichtlich vor den Eingang der geheimnisvollen
Geisterhöhle versetzt, die Björns Refugium war, wo er seine
Trophäen aufbewahrte.
Der Koloß von Bhutan lief, immer zwei Stufen auf einmal
nehmend, über die pyramidenförmig nach oben führenden
Treppen und holte sich aus dem betreffenden Behälter Velenas
Armreif. Er schob ihn über sein Handgelenk und konzentrierte
sich auf die Insel, die er in der Dunkelheit gesehen hatte.
Er erreichte sie auf Anhieb, das felsige Eiland war groß
genug, so daß er nicht noch mal ›baden‹ ging.
Rani schüttelte sich wie ein Hund, strich sich über die
Glatze und meinte im Selbstgespräch: »Wie gut ist es doch
manchmal, wenn man kein Haupthaar mehr hat. Das wäre sonst auch
noch tropf naß.«
Er lief um einen Felsblock, der von schäumenden Wellen
umspült wurde.
Die Felseninsel lag mitten im Wasser. Im ersten Moment wußte
Rani nicht, auf welcher Seite des Eilands er angekommen war. So weit
das Auge reichte – Meer, Meer, Meer…
In der Dunkelheit und der Entfernung, zum Festland war es
unmöglich, das Ufer zu erkennen und jene Stelle wieder zu
entdecken, an der er vorhin mit dem Pärchen gesprochen
hatte.
Er befand sich aber an der richtigen Stelle.
Er brauchte nur Ausschau zu halten nach der hellhäutigen
Gestalt, die über das Wasser wanderte.
Er sah sie wieder…
Das lange, blonde Haar wehte im auffrischenden Wind.
Rani Mahay suchte sich eine günstige Stelle auf dem
zerklüfteten Plateau, das von zahlreichen Löchern und
Spalten durchzogen war, aus denen zischend das Wasser sprudelte. Dann
drehte er den Armreif.
Sein Körper verlor an Kontur, wurde gespensterhaft
durchscheinend und verschwand.
Rani Mahay stand unter der tarnenden magischen Energie, die aus
dem Armreif kam, den Björn Hellmark in einem fremden Land einst
von der schönen Velena geschenkt bekam.
Der Inder lehnte gegen die Felswand. Ihn fröstelte infolge
der durchnäßten Kleidung nach wie vor. Alles an ihm und
mit ihm war gleich – man konnte ihn nur nicht sehen. Wie ein
Tarnmantel hüllte die Energie ihn ein und verhinderte, daß
sein Körper erkennbar wurde.
Aufmerksam und ruhig verfolgte Hellmarks Freund die
Annäherung der nackten Unbekannten.
Er war bereit, ihr zu folgen und nach Möglichkeit alles
über sie herauszufinden.
War sie hier auf der Insel zu Hause?
Nun, dann würde sie ihm – ohne es zu ahnen – sehr
schnell ihr Versteck zeigen.
Ihr geheimnisvolles Wesen und ihre nicht minder rätselhafte
Erscheinung gaben Anlaß zur Nachdenklichkeit, Besorgnis und
Verwirrung. Er mußte versuchen, hinter ihr Geheimnis zu
kommen.
Die Fremde
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