Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige
hatte. In englischer
Sprache.
»Bitte«, sagte der junge Guuf leise, »binden Sie
mich los. Ich bin keine Gefahr für Sie, das Ganze ist ein
Irrtum. Ich werde Ihnen alles erklären. Sie sind ein
Weißer, Sie werden mich verstehen.«
Der andere trat aus dem Halbschatten zwischen zwei Fackeln vor
Jim.
»Eine Erklärung ist mehr als überfällig«,
fuhr der Weiße ihn an. Er sprach nicht freundlich und sah auch
nicht so aus. Sein Gesicht war stoppelbärtig, die Haare –
lang und schwarz – wuchsen bis zu den Schultern hinab. Der Mann
wirkte kräftig, muskulös. Außer einem zerschlissenen
Lendenschurz trug er nichts weiter auf der Haut. »Am besten
wäre natürlich, du würdest erst die Maske
abnehmen.«
»Welche Maske?« war Jims erste Reaktion. Einen Moment
vergaß er, wer er wirklich war und wie er auf andere Menschen
wirkte. Er selbst sah sich als Mensch, und es war ihm jedesmal
unverständlich, wie andere auf sein Aussehen reagierten.
»Ich habe mehrmals während deiner Bewußtlosigkeit
versucht, sie abzuziehen. Es ging nicht, muß wohl ein Trick
dabei sein.«
Jim schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. Die Bewegung
schmerzte ihn. Der andere mußte ihm gehörig eins
übergezogen haben. »Es ist keine Maske, ich sehe wirklich
so aus.«
Da begann der Weiße zu lachen. »Du hast Mut«,
sagte er dann mit rauher Stimme. »Mich – Loll – an der
Nase herumzuführen, das ist schon ein starkes
Stück.«
»Loll…?«
»Ja, so heiße ich.«
»Merkwürdiger Name.«
»Meine Freunde hier im Dorf haben mir diesen Namen
gegeben.«
Plötzlich war der Dialog da. Jim versuchte von sich
abzulenken und erst mal das Gespräch in Gang zu bringen.
»Und wie heißt du?« fragte Loll.
»Jim.«
»Der Name paßt aber nicht zu dir.«
»Doch. Mir gefällt er. Warum hast du mich
niedergeschlagen?«
»Du bist ein Fremder und siehst aus wie die Totems. Wir
hassen die mit den runden Köpfen und dem Echsenkamm
darauf.«
»Ich sehe zwar so aus wie sie, aber ich bin nicht
so.«
»Warum hast du ihr Aussehen angenommen, wie hast du das
fertiggebracht? Es ist mir ein Rätsel, und rätselhaft ist
mir auch, wie du hierher kommst. Keiner von uns hat dich gesehen. Wo
kommst du her?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich werde sie dir
erzählen, Loll.« Jim gab sich Mühe, jeden Hader aus
seinen Worten, dem Klang seiner Stimme, herauszulassen. Er wollte
Loll für sich gewinnen, da war jemand, mit dem er sich
verständigen konnte, der ihn jetzt noch falsch einschätzte.
Aber Mißverständnisse konnte man mit einigem Geschick
beseitigen. »Es ist gut, daß du hier bist. Mit den
Eingeborenen allein könnte ich mich nicht unterhalten.«
Jim blieb ganz ruhig, obwohl er instinktiv fühlte, daß
sein Leben an einem seidenen Faden hing. Er brauchte nur an die
Situation zu denken, die er angetroffen hatte, als er die
Bildfläche betrat. Tanzende Eingeborene hatten zwei an
Totempfähle gefesselte Weiße offensichtlich dazu
verurteilt, zu sterben. Aus welchem Grund?
Jim versuchte seine Erklärung so lange wie möglich
hinauszuschieben. Es kam ihm darauf an, Loll zu beweisen, daß
er ihn nicht zu fürchten brauchte, wie man mit ihm zurechtkam,
egal was jene anderen Guuf, deren geschnitzte Standbilder in diesem
Urwalddorf existierten, hier auch angestellt haben mochten.
»Wo bin ich hier, Loll? Und wie kommst du hierher?«
Der kräftige Mann war kaum zu erkennen.
Jim tränten die Augen von den rußenden und qualmenden
Fackeln. Er preßte die Lider krampfhaft zusammen, um sich
Erleichterung zu verschaffen. Loll schien die Luft überhaupt
nichts auszumachen. Er war daran gewöhnt.
»Tief im Urwald. Wo – das kann ich auch nicht mehr so
genau sagen…« Er lachte rauh, hockte sich auf sein Lager
und kratzte sich am Kopf. »Ich weiß nicht, wie weit ich
damals gekommen bin.«
»Damals?«
»Hm, vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren, es ist
schon so lange her. Anfangs habe ich die Tage, Wochen, Monate noch
gezählt, aber dann habe ich es unterlassen. Irgendwo mitten im
Kongo wird es wohl sein, wo die Hütten hier genau stehen, ist
auch völlig unwichtig. Oder ist es etwa wichtig für
dich?« Seine Stimme klang sofort wieder angriffslustig.
»Nein, nein«, sagte Jim schnell. Loll sah böse aus.
Seine Augen funkelten, und seine Hände ballten sich zu
Fäusten. Diese leichte Erregbarkeit seines
Gesprächspartners gefiel ihm nicht.
»Warum fragst du dann danach?« Loll erhob sich. Er sah
bösartig und gefährlich aus, wie er da stand.
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