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Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige

Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige

Titel: Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Shocker
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Dann lachte
er plötzlich wieder. »Du bist ein komischer Kauz,
wirklich… ich bin gespannt auf deine Geschichte, die du mir
erzählen wirst…« Von einem Moment zum anderen
änderte sich der Klang und die Lautstärke seiner
Stimme.
    Wirkte er eben noch heiter, erschien er im nächsten Moment
böse. Loll war unberechenbar und krank. Jim erkannte es
deutlich. Dieser Mann war wahnsinnig!
    »Warum bist du hier, Loll? Hat man dich festgehalten,
irgendwann im Leben?«
    Jim fühlte sich unbehaglich. Er war noch nicht wieder so weit
hergestellt, daß er schmerzfrei war. Sein Schädel brummte
unaufhörlich.
    »Ich bin einfach hierhergekommen und geblieben. Es
gefällt mir hier.«
    Genau an diesem Punkt wollte Jim nachdenken und die Frage nach dem
jungen Forscherehepaar stellen, das er blitzschnell von seinen
Fesseln befreit hatte. Loll war mit dem Mord an diesen beiden
Menschen einverstanden gewesen? Er wagte jedoch nicht, diese Frage zu
stellen, etwas hielt ihn zurück, ein Gefühl, den Zorn
dieses Mannes nicht erneut anzufachen.
    »Du stammst aus England, nicht wahr?«
    Loll zuckte die Achseln. »Möglich.«
    Entweder wußte er es nicht mehr, oder er wollte nicht
darüber sprechen.
    »Warum bist du gekommen, Loll?«
    Die Unruhe des Mannes, den Jim auf etwa fünfzig Jahre
schätzte, wuchs merklich, als der Guuf die Frage stellte.
    Er schluckte, drehte sich, näherte sich dem Lager und griff
mit zitternder Hand nach dem alten Foto im Rahmen.
    Eine Zeitlang stand er selbstvergessen da, völlig reglos, als
wäre er erstarrt und schien sogar das Atmen zu vergessen.
    »Ach, weißt du…« Seine Stimme klang
plötzlich ganz sanft, als erkläre er einem Kind etwas.
»Das ist eine lange und traurige Geschichte.«
    »Erzähle sie mir, Loll.«
    Der Angesprochene drehte sich langsam um und hielt das Bild so,
daß er es im Schein einer Fackel besonders gut sehen konnte.
»Das ist Elaine, wir hatten uns sehr lieb, sie war damals
zweiundzwanzig, als das Foto aufgenommen wurde in ihrem Garten. Ich
habe es geknipst. Damals, in Brighton, wir hatten große
Zukunftspläne. Sie war Künstlerin, wir ergänzten uns
vortrefflich. Sie malte wunderschöne Bilder, mit leichter Hand
und tiefem Sinn für das Detail, das einem Bild das gibt, was es
ehrlich und gut macht.
    Ich verlegte mich mehr auf das Modellieren und
Schnitzen.«
    Als Loll das sagte, wanderte Jims Blick unwillkürlich zu den
kleinen Figuren auf dem Regal. Lolls Arbeit…
    »Wir hatten vor, gemeinsam ein kleines Atelier in London zu
eröffnen, sie wollte malen, ich modellieren, das
Verständnis mit ihr war wunderbar. So etwas gibt es
wahrscheinlich nur alle hundert Jahre einmal, daß zwei Menschen
sich treffen, verstehen, lieben – ohne daß viele Worte
zwischen ihnen gewechselt werden. Bei uns war dieser Glücksfall
eingetroffen. Aber die Menschen sind offensichtlich nicht dafür
geschaffen, lange glücklich zu sein. Das Leben mag es nicht,
wenn jemand nur glücklich ist…
    Elaine wurde sehr krank, die Ärzte sahen keine
Möglichkeit mehr, etwas für sie zu tun. Sie sagten nur,
daß sie sich ihre Tage so schön wie möglich machen
sollte. Sie hätte höchstens noch zwei oder drei Monate zu
leben…
    Wir verbrachten diese Zeit gemeinsam. Wir waren Tag und Nacht
zusammen und haben viel miteinander gesprochen. Sie hat nicht ein
einziges Mal geweint. Diese Aufnahme hier entstand in jenen Tagen,
genau fünf Tage vor Elaines Tod…«
    An dieser Stelle unterbrach er sich.
    Ein tiefer Atemzug hob und senkte seine breite, nackte Brust.
Gedankenversunken ließ er das Bild sinken.
    »Ich war damals verzweifelt«, fuhr er unvermittelt fort.
»Es war mir unmöglich, mein Leben nach ihrem Tod so
fortzusetzen, wie wir das gemeinsam vorgehabt hatten. Ich
verließ mein Land und reiste kreuz und quer durch die Welt. Ich
nahm an abenteuerlichen Expeditionen teil, bereiste ganz China und
hielt mich lange Zeit in den Himalaya-Staaten auf. Doch auch dort
hielt es mich schließlich nicht mehr. Die Ruhelosigkeit packte
mich wieder. Wie ein Getriebener, Verfolgter reiste ich um die ganze
Welt, durchquerte die Sahara und stieß in undurchdringliche
Urwälder vor… auf der Suche nach was?« Er zuckte die
Achseln. »Nach dem verlorenen Glück? Nach dem Sinn meines
Lebens? Auf der Suche nach einer neuen Hoffnung? Und dann blieb ich
einfach… in einem Eingeborenendorf. Ich kenne seinen Namen
nicht, weil es keinen hat. Die Menschen nahmen mich auf als den
ihren. Seitdem gehöre ich zu ihnen… dieses winzige

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