Macabros 092: Mandragoras Zaubergärten
plötzlich hinzu, ohne zu
ahnen, daß er damit eine wichtige Frage seines Begleiters
beantwortete. »Bestimmte Vorstellungen sind plötzlich da,
und ich kann mich ihnen nicht entziehen… ob sie echt sind oder
durch Mandragora, die wir zu bekämpfen beabsichtigen,
beeinflußt werden?«
Er machte sich darüber Gedanken.
»Wir werden auf der Hut sein, mehr können wir momentan
nicht tun«, erwiderte Macabros ernst.
Und dann sah er auch, was Rani im Gegensatz zu ihm schon einige
Sekunden vorher wahrgenommen hatte.
Er erblickte Danielle de Barteaulieé.
Sie kam an der hohen, düsteren Mauer entlang. Die
Französin bewegte sich mit leichten, federnden Schritten,
typisch der sanfte, wiegende Gang, der ihr eigen war.
Danielle blickte weder nach links noch nach rechts. Sie lief wie
eine schöne Vision an den farbenprächtigen Beeten entlang.
Doch sie war nicht allein. Sie hielt eine Lederschnur in der Hand.
Diese Schnur war um den Hals eines außergewöhnlichen
Tieres gebunden, das wie ein plumper Bär hinter ihr
hertrottete.
Unwillkürlich schloß Macabros einen Moment die Augen.
Das Ganze kam ihm vor wie ein Trugbild, das auch dann noch blieb, als
er die Augen wieder öffnete.
Danielle und ihr Begleiter liefen an der Wand entlang. Das
’Tier’ war gut zwei Köpfe größer als sie,
sehr massig und hatte ein schwarz-blaues Fell, das an den Pelz eines
Bären erinnerte.
Im ersten Moment sah das seltsame Gespann fast drollig aus, wie es
da vor ihnen entlanglief und sich einem der weit offen stehenden Tore
im Gemäuer näherte. Die Eingänge wirkten wie ein
Schacht in die Tiefe.
Der schwarz-blaue ’Bär’ hatte lange, tief
herabhängende Arme und lief mit nach vorn gebeugten Schultern.
Die Beine waren kurz und stämmig.
»Was hat das nur alles zu bedeuten?« kam es wie ein
Hauch über Ranis Lippen. Der Freund wirkte wie versteinert. Man
sah ihm an, wie er sich das Hirn zermarterte, um eine Antwort auf
seine stillen Fragen zu erhalten, wie er sich um eine Intuition
bemühte, die ihm erstaunlicherweise die ganze Zeit über
möglich gewesen war. Aber nun waren diese Vorahnungen, nicht
weniger rätselhaft, mit einem Mal erloschen…
Macabros prägte sich das Aussehen des pelzigen Begleiters
Danielle de Barteaulieé genau ein. Das Tierantlitz war starr,
unbeweglich, in den Augen schimmerte der Ausdruck von Ratlosigkeit
und Trauer, wie er mit einiger Verwunderung feststellte. Aber dieser
Ausdruck änderte sich plötzlich. Die Augen blickten kalt
und mordlüstern, und es wurde den beiden Beobachtern klar,
daß dieses auf seine Weise so plump und harmlos aussehende Tier
im nächsten Moment zu einer unberechenbaren, blutrünstigen
Bestie werden konnte.
Der ’friedliche’ Gesichtsausdruck täuschte
darüber hinweg…
»Folgen wir ihr!« Diesmal war es Macabros, der sich
zuerst aus der Erstarrung löste.
Rani nickte nur.
Sie warteten beide ab, bis Danielle de Barteaulieé an ihnen
vorüber war, ohne sie wahrgenommen zu haben. Sie verschwand in
der großen, dunklen Maueröffnung.
Macabros und Rani liefen am Beet entlang, dann am rohen
Gemäuer, erreichten den düsteren Eingang und sahen Danielle
wie einen Schemen in der Dunkelheit vor sich.
Sie blieben ihr auf den Fersen.
Macabros war beunruhigt.
Je länger er sich in Mandragoras Zaubergärten aufhielt,
desto rätselhafter, fremdartiger und undurchsichtiger kam ihm
alles vor.
Er wurde das Gefühl nicht los, daß mit ihnen allen ein
grausames Spiel getrieben wurde.
Der Weg durch die enorm dicke Mauer währte einige Minuten
lang. Dann endlich dehnte sich ein düsterer Innenhof vor ihnen
aus. Seltsame Figuren aus einem dunkelroten Stein, der wie Kupfer
Grünspan angesetzt hatte, standen einzeln und in Gruppen herum.
Die Figuren stellten Tiere und menschenähnliche Wesen dar,
Fabelgestalten aus einer fremden Mythologie.
Da gab es ’Menschen’, die wie Frösche aussahen und
krumme Schwerter schwangen wie überdimensionale Sicheln, die sie
auch an Stangen trugen. Sie kämpften gegen nackte, rattengleiche
Geschöpfe, die lange Fühler an ihren Köpfen trugen.
Aus den detaillierten Darstellungen in Stein ging hervor, daß
diese Fühler so etwas wie eine tödliche Waffe der
Rattenmenschen war. Viele Froschgesichtige waren an den Fühlern
aufgespießt wie an Pfählen und hingen mit gespreizten
Gliedern und hervortretenden Augen in der Luft.
Ein unheimlich und bizarr wirkender Innenhof, der riesig in seiner
Ausdehnung war, lag vor ihnen. Die Statuen erweckten dabei
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