Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe

hier«, sagte da der Mann auf
dem Boden mit schwacher Stimme. »Den Eingeborenen… sind
wir… entkommen… was jedoch der Vulkan unter
Umständen… mit uns macht…, steht auf einem…
anderen Blatt… Übrigens, ich heiße Jonathan…
Erster Kanonier auf der… LUCKY STRIKE… die Reste in der
Bucht vor… den Höhlen… das war mal ein stolzes
Schiff…, ehe wir in den Sturm gerieten… alle gingen vor die
Hunde… ich hatte in der Nacht davor Streit mit dem
Käpt’n… im Rausch… ich muß ihm ein paar
unangenehme Wahrheiten an den Kopf geworfen haben… das vor
versammelter Mannschaft… das konnte er nicht auf sich sitzen
lassen… er fürchtete eine Meuterei und wollte an mir ein
Exempel statuieren… Ich wurde an einen Mast gebunden, alles war
vorbereitet zum Auspeitschen… Da kam der Sturm… die LUCKY
STRIKE wurde zum Spielball der Gewalten… der Mast brach –
ich wurde irgendwann ins Meer geworfen… alle anderen
ertranken… ich kam davon… ein wahres Wunder… doch der
Untergang der LUCKY war vorprogrammiert… hätten alle
gewußt, wohin die Fahrt ging, keiner wäre an Bord
geblieben, als das Schiff in Plymouth auslief… da komme ich
übrigens her… Haymo, der Käpt’n… bisher hat
er sich damit zufrieden gegeben, Handelsschiffe zu kapern… aber
diesmal wollte er etwas anderes an Bord holen… das hat sie
verhindert…«
    Mit jedem Wort, das der andere sprach, wurde Rani Mahay
nachdenklicher und begriff noch weniger.
    Jonathan redete daher, als wäre er mit einem Piratenschiff
auf die Insel gekommen…
    Seine Andeutungen warfen nur neue Fragen auf.
    »Von wem sprichst du, Jonathan?« wollte Rani wissen,
»was hat ›sie‹ verhindert…?«
    »Daß er… hinter ›ihr‹ Geheimnis
kommt…«, nahm er den Faden wieder auf, »Haymo hat das
Geheimnis von einem… sterbenden Seemann erfahren… ›die
schwarze Mutter‹ oder ›schwarze Hexe‹ wird sie
genannt… und man erzählt sich die tollsten Dinge über
sie, wenn man Haymo und seinem Informanten Glauben schenken
kann…«
    Mahay zuckte zusammen. Der Begriff ›schwarze Hexe‹ war
gefallen. Es gab noch mehr Menschen, die darüber Bescheid
wußten!
    »Was weißt du noch darüber, Jonathan?«
    »Ich will… dir alles sagen, was ich weiß…
aber ich muß erst etwas trinken… Wasser… hier
muß es doch irgendwo Wasser geben… ich
verdurste…«
    Rani fühlte auch brennenden Durst.
    Jonathan begann wirr zu reden. Der Inder legte ihm die Hand auf
die Stirn. Sie fühlte sich heiß und feucht an. Das Fieber
des Seemanns war wieder gestiegen.
    Mahay ließ Jonathan aus Plymouth zurück und machte sich
auf die Suche nach einem Bach oder einer Quelle.
    Die Insel bot zum Glück alles, was sie zum Leben brauchten.
Er entdeckte einen kleinen Bach, der aus einem Felsen sprudelte, und
trug Jonathan dahin, der gierig das kühle Naß
schlürfte.
    Erst als Jonathan genügend Flüssigkeit aufgenommen
hatte, bediente sich Mahay. Er formte seine Hände zu einer
Schale und schöpfte das Wasser damit in den Mund.
    »Kannst du weitersprechen, Jonathan?« fragte er leise
und musterte das stille, blasse Gesicht des Mannes, der behauptete,
Pirat zu sein. »Es sind nur einige wenige Fragen, die mich nicht
loslassen. Über alles andere können wir später reden.
Aber die Beantwortung zweier Fragen ist unerläßlich. Die
Existenz der ›schwarzen Hexe‹ und deine sowie meine
Anwesenheit hier auf der Insel, Jonathan, sind die Schlüssel zu
einem großen Rätsel…«
    »Du sagst es…« Jonathan öffnete die Augen. Sie
waren verschleiert. Man sah, wie der Mann gegen Schwäche und
Fieber ankämpfte. »Was das erstere anbelangt, wird uns
unsere Flucht wohl nicht viel nützen…« Wieder sah
Jonathan den Inder fragend an.
    »Ich bin Rani«, bemerkte Mahay da, als ihm einfiel,
daß er dem anderen noch gar nicht seinen Namen gesagt
hatte…
    »Rani… ein sympathischer Name… er gefällt
mir… wie du mir überhaupt gefällst… viel
Hoffnung, Rani, können wir nicht haben… wir sind zwar den
Wilden entkommen, aber sie werden uns zurückholen, sie haben die
Macht dazu, glaub’ mir… es hängt mit der
›schwarzen Hexe‹ und dem Todesruf zusammen. Wer ihn mal
gehört hat, der ist verloren… Haymo ist das lebende
Beispiel dafür. Er wollte die Insel finden, er hat sie gefunden
und sie doch nicht erreicht… das Gesicht aus Knochen hat ihn
gelockt. Ich habe selbst gesehen, wie… er sich mit ihm
unterhalten hat… es waren Knochen aus dem Leib der
›schwarzen