Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe
Kanonenofen Eiskristalle zeigten
und der Wind durch den Kamin fegte.
Im Keller standen mehrere Kisten und lagen Unmengen von leeren
Flaschen und geöffneten Konservendosen.
Sie stapelten sich rings um einen freien Platz, der von mehreren
Kerzen gespenstisch erhellt wurde, und eine unglaubliche Szene bot
sich seinen Blicken.
Auf dem freien Platz lag ein Gesicht, das aus kleinen schwarzen
Knochen zusammengefügt war. Das Antlitz war kugelrund und wies
zu beiden Seiten Auswüchse auf, die sowohl als Ohren wie auch
als Flügel bezeichnet werden konnten.
Ein schwarz-grüner Schein schwamm wie eine breiige Masse
über dem runden Gesicht.
Das alles war schon bemerkenswert genug. Am ungeheuerlichsten aber
wirkte das Geschöpf, das am unteren Ende des freien Platzes
hockte, leise, kichernde Geräusche von sich gab, immer wieder
auf das Gesicht starrte und mit nervösen Bewegungen in eine
geöffnete Konservendose griff und die eiskalten Bohnen mit Speck
verspeiste. Dazu benutzte er die schmutzigen, klammen Finger, die er
manchmal an den Kerzenflammen wärmte.
Minutenlang hockte Macabros vor der offenen Bodenklappe und
ließ die Szene auf sich wirken, die er nach und nach
begriff…
Der Mensch, der da in Gestank, Unordnung und Kälte lebte,
vegetierte nur noch dahin und schien nichts mehr über sich, sein
Dasein und seine Person zu wissen.
Der Einsiedler trug einen dicken Fellmantel, der um seinen
ausgemergelten, dürren Körper schlotterte. Da hätten
drei oder gar vier seiner Sorte hineingepaßt.
Der Mann hatte nur noch dünne Arme, die mit einer braunen,
pergamentenen Haut überzogen waren.
Genauso war sein Gesicht: Wächsern, spitz und knochig. Der
Kopf glich mehr dem eines Toten als eines Lebenden.
Dieses Gesicht wandte sich dem unerwarteten Eindringling entgegen,
als der seine Kerze nach unten hielt.
Da wußte Macabros plötzlich, wen er vor sich hatte.
Das war zwar nur noch ein knöcherner, mit brauner Haut
überzogener menschlicher Schädel, in dem die dunklen Augen
wie Kohlen glühten, aber die typischen Erkennungsmerkmale –
die scharf gebogene Nase und die hohe Stirn – waren noch
erhalten.
Das war – Bill Redgrave, der ehemalige Freund Will Bardons,
in dessen Augen der Wahnsinn glühte…
*
Der Mann wich zurück, schüttelte heftig den Kopf,
daß die dünnen weißen Haare flogen, und winkte mit
beiden Händen ab.
»Nicht… stören… alles umsonst…«
Er grinste und fuhr sich mit einer nervösen Bewegung durch
das Haar.
Macabros kam vorsichtig die Leiter herab.
Der Alte richtete sich auf.
»Vorsichtig, nicht hineintreten, nicht zerstören!«
sagte er mit Grabesstimme.
Er hielt in der einen Hand die angebrochene Konservendose, mit der
anderen pickte er einzeln ein paar Bohnen heraus und stopfte sie sich
zwischen die schmalen Lippen.
Richard Patrick hatte Björn Hellmark ein Bild gezeigt, das
Redgraves Konterfei trug.
Darauf war Redgrave ein Mann Mitte Dreißig. Das war er auch
jetzt noch. Aber Strapazen, Entbehrungen, Einsamkeit- und die
Beschäftigung mit schwarzmagischen Dingen hatten seinen
Körper ausgelaugt.
Redgrave war nur noch ein Schatten seiner selbst, und
wahrscheinlich sah er noch elender aus, was sicher nur dadurch
kaschiert wurde, daß er einen mehrere Wochen alten Bart trug.
Der war weiß und ungepflegt.
Bill Redgrave sah aus wie ein Mann von achtzig…
Er blickte den Ankömmling an, ohne sich dafür zu
interessieren, woher er kam, wer er war und was er wollte. Redgrave
nahm sein Auftauchen einfach hin.
»Mach die Klappe zu… andere brauchen nicht auch noch
zuzusehen«, kicherte er, ohne die Konservendose
wegzustellen.
Macabros befolgte den Ratschlag, und Bill Redgrave quittierte es
mit einem zufriedenen Grunzen.
»Das ist mein Reich – und das der ›Schwarzen
Hexe‹!« fuhr er kichernd fort und wandte seinen Blick
wieder dem stilisierten Mondgesicht zu.
Macabros umrundete das Gebilde.
»Siehst du, was ich sehe? Ist es nicht großartig?«
fragte Redgrave, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab.
»Ich hatte recht, verstehst du? Ich hatte immer recht… Ich
mußte nur jemand finden, der mir bestätigen konnte, was
Will Bardon seinerzeit mit aller Kraft abstritt…« Er lachte
irr und warf die Dose schließlich kurzerhand in die Ecke
zwischen das andere Gerumpel, ohne daß er den Inhalt
aufgebraucht hätte. Ein Teil der dicken Suppe schwappte
über die Wand und tropfte auf eine alte Kiste herab. Nur weil es
kalt hier unten war, entwickelte sich kein
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