Macabros 095: Verschollen in Dwylup
nächtlichen Himmel,
der Mond zeigte sich klar und silbern über den dunklen Wipfeln
des nahen Dschungels. »Unsere Flucht… hat sie
überrascht… sie wurde uns selbst nicht recht bewußt.
Wir handelten mechanisch und taten dabei… instinktiv das
richtige…« Sie wischte sich mit dem Handrücken die
Tränen aus den Augen. Man sah ihr an, daß sie total
erschöpft war, daß es am besten für sie wäre,
kein einziges Wort mehr zu sprechen.
Doch sie mußte loswerden, was sie belastete,
beschäftigte. Das Reden war für sie ein Ventil.
»Wir liefen in den Wald… nur weg von den Monstern! Ihnen
nicht in die Hände fallen… die Geschöpfe sahen
furchterregend aus… ich kann sie nicht beschreiben, ohne
daß mir dabei eine Gänsehaut über den Rücken
läuft… ich meinte, sterben zu müssen, als ich sie
ansah, und ich mied ihren Anblick, so gut es ging. Wir rannten…
uns schien der Wald aus Skeletten erstrebenswerter als die Stadt mit
den Totenkopffassaden… Der Himmel über dem Knochendschungel
war düster, und es braute sich in diesen Sekunden unserer Flucht
das gleiche furchtbare Wetter zusammen, aus dem wir zuvor gekommen
waren. Mir kam ein Gedanke… der Skelettdschungel schien wie eine
große Wettermaschine zu funktionieren… hier entstanden die
Wirbel und Luftströmungen, die uns vom Kurs abgebracht
hatten… Ich faßte kaum diesen Gedanken, da sah ich erneut
jenes wirbelnde Loch, das mich ansog… dann spürte ich
Regen, hörte es fürchterlich donnern und sah ein Tor…
dann rannten Sie auch schon auf mich zu… wer immer diese
Fremden, Unheimlichen sind… sie haben Kontrolle über ihre
und diese Welt… sie beeinflussen das Wetter und können
dadurch Kräfte entwickeln, von denen wir… wir
Menschen… keine ’Ahnung haben… sie können
überall sein…« Mit schreckgeweiteten Augen und
offensichtlicher Angst davor, daß sich das gleiche jederzeit
wiederholen konnte, blickte sie einen nach dem anderen an. »Ich
fühle mich nicht mehr sicher«, wisperte sie mit
erschreckender Stimme. »Überall können sie
auftauchen… die Welt ist durchlässig wie eine
Nebelwand… sie müssen befürchten, daß wir
über sie sprechen… ich kann nicht schlafen, trotz der
Spritze finde ich keine Ruhe. Ich suche Ruhe… und Frieden…
ein Platz, an dem ich mich wohl- und sicher fühle… Helfen
Sie mir!« Sie blickte abwechselnd auf die Arzte, Schwestern und
Björn Hellmark.
Sie schlug beide Hände vors Gesicht, und ein Schluchzen
schüttelte ihren Körper. Ihr Begleiter, Owen Longfield,
bekam von alledem nichts mit. Er lag apathisch auf seiner Liege,
atmete flach und unregelmäßig und war weiß wie ein
Leichtuch, als flösse kein Tropfen Blut mehr durch seine
Adern.
Longfield hatte sich auf seine Weise mit dem Erlebnis
auseinandergesetzt.
»Ich glaube, ich kann Ihnen helfen«, warf da Björn
Hellmark ein, während die anderen ringsum sich nur ratlos
ansahen. Sie hatten schon viel erlebt, aber was hier geschah,
sprengte ihr Begriffsvermögen. »Ich kann Sie an einen Ort
bringen, an dem Sie völlig sicher sind, wo Sie Ruhe und Frieden
haben, Miss Monescue… wenn die Ärzte es
erlauben…«
Die hatten nichts dagegen einzuwenden.
»Wenn Sie mir vertrauen, Miss Monescue?« wandte sich der
blonde Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht abermals an
sie.
»Warum sollte ich Ihnen nicht vertrauen?« fragte sie
leise und sah ihn lange – etwas zu lange – aufmerksam an.
»Sie sind mir sehr sympathisch.«
»Ich bringe Sie an einen Ort, wo niemand Ihnen etwas zuleide
tun wird, wo es Menschen gibt, die Verständnis für Ihre
Lage haben, die Sie verstehen… wo es kein Unwetter gibt, das Sie
zu fürchten brauchen… sie werden sich fühlen wie im
Paradies, und Ihren Begleiter werden wir, sobald die Ärzte es
für richtig halten und er nicht länger auf medizinische
Beobachtung angewiesen ist, umgehend nachkommen
lassen…«
*
Sie wußte nicht, wie ihr geschah.
Freundlich plaudernd verließ er mit ihr das
Behandlungszimmer. Draußen ’ auf dem Korridor hatte sie
plötzlich das Gefühl, als stünde noch jemand hinter
ihr.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Björn
Hellmark zu ihr. »Die Umgebung wird sich verändern. Die
Wände ringsum werden verschwinden – und dann werden Sie das
Meer, weißen Strand und Palmen sehen…, wie das zustande
kommt, werde ich Ihnen erklären. Lassen Sie sich einfach
hineinfallen in dieses Gefühl des Schwebens…«
Claire Monescue hörte die Worte, doch es fehlte ihr
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