Macabros 103: Nebel-Labyrinth des Tschonn
endgültig den Garaus zu
machen – oder hatte er noch die Möglichkeit zu gehen, wenn
er es wollte?
Er konnte die Türen und Fenster öffnen und hinausgehen
ins Freie. Nichts und niemand hielt ihn auf, und es trat auch kein
außergewöhnliches Ereignis ein.
Mahay geriet ins Nachdenken.
Die Macht der Geister wirkt auch am Tag, aber nur als Vision. Sie
war zum Erschrecken, aber nicht gefährlich und konnte ihm
körperlich keinen Schaden zufügen. Nur durch einen puren
Zufall hatte er offensichtlich auch die wahre Natur der hier
handelnden Personen entdeckt.
Nun aber waren sie gewarnt.
Was würden sie unternehmen? Konnten sie überhaupt etwas
in die Wege leiten? Planten sie etwas?
Oder war das Haus tagsüber überhaupt nicht bewohnt,
wurde es nur von Geisterbildern ›bewacht‹? Jemand, der
uneingeweiht hierher kam, wurde gewiß nicht merken, daß
er möglicherweise von einer sphärenhaften Madame Fraque
begrüßt, von einem aus Cereste stammenden Mädchen
bedient wurde.
Alles war ganz natürlich, solange man die Hintergründe
nicht kannte.
Und eben die wollte er kennenlernen.
Nun war es auch schon egal, ob er Jim und Danielle noch verbarg
oder nicht. Vielleicht wußte Madame Fraque auch schon
darüber Bescheid.
Vom Eingang aus gab Rani das verabredete Zeichen. Er erwartete
eine Reaktion. Sie kam nicht.
Er konnte sich sowohl auf den Guuf als auch auf Danielle
verlassen.
Da war etwas faul!
Er verließ das Hotel, lief über den freien Platz und
näherte sich bedenkenlos dem Gebüsch, in dem Danielle
verabredungsgemäß sich verbergen und aufpassen sollte.
»Danielle?« rief er leise und drückte die Zweige
auseinander.
Hell schimmerte es durch das schattige Buschwerk.
Der Inder meinte, eine Klauenhand würde sein Herz
zusammenpressen.
Das Blut gefror ihm in den Adern.
Da war etwas, was zuvor nicht gewesen war!
Vor ihm lag hell und fahl ein menschliches Skelett.
Danielle de Barteaulieé!
*
Der Atem stockte ihm, grauenhafte Angst ergriff von ihm
Besitz.
Tausend Gedanken überfluteten sein Gehirn. Danielle war etwas
Grauenhaftes zugestoßen!
Hier in diesem Gebüsch hatte sie ihre Wach-Position
bezogen.
Das Skelett – vielleicht nur ein Trugbild wie die Erscheinung
Claudia Sevoirs?
Er streckte die Hand danach aus, sehr vorsichtig und hoffte,
daß seine Hand den Knochen passieren würde wie einen
Lufthauch. Und fürchtete sich vor dem Augenblick, da er erkennen
mußte, daß es nicht der Fall war und…
Er fuhr zusammen wie unter einem Peitschenschlag. Seine
Fingerkuppen berührten die Knochen! Das Skelett war echt!
Ein Stöhnen entrann seinen Lippen. Rani Mahay fuhr herum,
lief über den freien Platz und begab sich auf die andere Seite
des Hotels.
Jim!
War auch ihm etwas zugestoßen?
Er suchte das Versteck des Guuf auf.
Keine Spur von ihm weit und breit!
Hier entdeckte er kein Skelett. Jim war einfach
verschwunden…
Da Rani davon ausgehen konnte, daß sein Inkognito
gelüftet war, legte er keinen großen Wert mehr auf seine
außergewöhnliche Verkleidung als Clochard.
Er zog die schmutzige Jacke aus, ließ sie achtlos fallen,
warf den breitkrempigen Schlapphut zur Seite und suchte die
nähere Umgebung ab. Es gab keine Hinweise auf einen gewaltsamen
Angriff dämonischer Machte, irgendwelcher feindlicher Wesen, die
hier das Sagen hatten.
Wo verbargen sie sich? Was waren ihre Absichten? Wie waren sie
hinter einen, wie er glaubte, recht geschickt eingefädelten Plan
gekommen?
Er hörte leises Flügelschlägen und wandte den
Kopf.
Nur eine Armreichweite von ihm entfernt flogen zwei Krähen
durch die Luft und setzten sich auf einen Busch.
Krähen… er hatte heute schon soviele gesehen.
Und mit einem Mal hatte er das Gefühl, als würde er von
ihnen beobachtet. Die schwarzen, glitzernden Augen waren neugierig
auf ihn gerichtet…
Mahay verschaffte sich Gewißheit, was das Schicksal seiner
Begleiter betraf.
Er versetzte sich augenblicklich zurück nach Marlos.
Seine Umgebung veränderte sich. Wo eben noch die
blätternarbige Hauswand sein Blickfeld begrenzte, dehnte sich
der herrliche weiße Sandstrand von Marlos vor ihm aus. Dahinter
das endlose blaue Meer, über das sich ein wolkenloser Himmel
spannte.
Auf der rätselhaften Insel, die Björn Hellmark zum
Vermächtnis gemacht worden war, herrschten immer
frühlingshafte Temperaturen, und es wurde nie Nacht. Die Nacht,
das Metier der Dämonen, bösen Geister und Schergen
Rha-Ta-N’mys, hatte hier keinen Platz. Diese
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