Macabros 103: Nebel-Labyrinth des Tschonn
tanzenden Geisterwesen lagen,
mit denen er schon zu tun hatte.
Er stellte fest, daß es keinen Verbindungsgang und keine
Zwischentür gab, die dorthin führte. Er hätte um das
Hotel herumgehen müssen. Er vereinfachte die Sache, indem er
kurzerhand eines der hinteren Fenster öffnete und nach
draußen sprang.
Der Anbau lag im Schatten. Es war die Nordseite. Selbst im Sommer
wurde es hier hinten nicht so richtig warm.
An sämtlichen Fenstern waren die Läden geschlossen.
Rani Mahay näherte sich der Hintertür, durch die er in
der letzten Nacht gegangen war. Irgendwo hier hinten war auch Whiss
verschwunden.
»Mademoiselle?« rief der Inder nach Claudia Sevoir. Er
konnte sich ein bißchen dumm stellen und so tun, als ob die
ganzen Zusammenhänge ihm völlig unbekannt seien. Das
Verwirrspiel, das man offensichtlich mit ihm trieb, konnte er als
Bumerang zurückgehen lassen.
Aber es funktionierte nicht.
Das Mädchen tauchte nicht wieder auf. Alles ringsum blieb
still.
Knarrend stieß er die Tür auf.
Der dunkle, fensterlose Korridor mit den Türen zu beiden
Seiten lag vor ihm.
Am vordersten Ende befand sich der Raum mit der Tür, hinter
der sich beinahe sein Schicksal erfüllt hätte.
Ranis Lippen bildeten einen schmalen Strich in seinem
bärtigen Gesicht.
Das Mysterium von letzter Nacht war um keinen Deut geringer
geworden. Im Gegenteil! Das alte Hotel und die Ereignisse
ließen den Schluß zu, daß furchtbare Dinge im
Verborgenen abliefen, von denen kein Mensch in den umliegenden
Ortschaften etwas ahnte…
Gleich die erste Tür rechts nach dem Eingang steuerte er
an.
Sie ließ sich öffnen. Das irritierte ihn schon und
gefiel ihm nicht. Ein Haus, das sich seinen Besuchern so offen zeigte
– ohne daß die Besitzer sich sehen ließen – war
merkwürdig!.
Rani öffnete vorsichtig die Tür und war bereit, sich
augenblicklich zur Wehr zu setzen, wenn die Situation es erfordere.
Verborgen unter der viel zu weiten Hose trug er sein Kurzschwert, mit
dem er vortrefflich umzugehen verstand.
Als nichts geschah, stieß er die Tür vollends auf und
blieb neben dem Pfosten stehen.
Der Raum war stockfinster. Durch die Fensterläden und
dichtgewebten Vorhänge fiel kein Lichtstrahl. Die Helligkeit,
die Eingang fand durch die verwitterte, weit offenstehende
Haustür, wob einen geheimnisvollen grauen Schleier, der nicht
ausreichte, die Dunkelheit im Zimmer bemerkenswert
aufzulösen.
Es schien, als würde das einsickernde Tageslicht
geschluckt.
Rani wartete einen Moment, obwohl die Zeit ihm auf den Nägeln
brannte und er endlich das Geheimnis dieses Hotels kennenlernen
wollte.
Er überschritt die Schwelle, und die schummrige
Atmosphäre hüllte ihn ein wie ein Mantel.
Er sah die Umrisse eines deckenhohen Schrankes. Drei Schritte von
der Tür entfernt standen ein Bett und ein Nachttisch. Vorn in
einer Ecknische ein kleiner runder Tisch, um den drei schwere Sessel
gruppiert waren.
An der Wand links war so etwas wie ein Altar errichtet.
Das war seltsam und weckte sofort Mahays besonderes Interesse.
Aufmerksam trat er näher.
Auf dem Altar stand eine dicke schwarze Kerze. Sie war frisch,
noch nicht benutzt. Über dem Altar hing ein großes Bild.
In der Dunkelheit konnte Mahay nur den Umfang und die Umrisse des
Rahmens erkennen. Das Bild war zwei Meter hoch und etwa eineinhalb
Meter breit.
Der Inder stand so, daß er das ganze Zimmer im Blickwinkel
hatte.
Darin hielt sich niemand auf.
Licht ließ sich nicht einschalten. Keine einzige Lampe war
angeschlossen. Das sagte einiges über die rätselhaften
Gestalten aus, die hier nachts lebten.
Mahay riß ein Streichholz an.
Das Flämmchen zuckte auf und spendete spärliches Licht.
Er entzündete damit die schwarze Kerze.
Deren Flamme war höher, der Lichtschein ergiebiger.
Im fahlen Schein, im Halblicht, konnte er das große
Gemälde schauen.
Es war in düsteren und doch sanften Farben gehalten. Die
Dunkelheit wurde durch farbige Grautöne erzeugt.
Vor Mahays Augen dehnte sich eine bizarre, labyrinthartige
Nebel-Landschaft aus. Das Bild erweckte in ihm das Gefühl,
daß es von einem Medium in Trance gemalt worden war. Es
erzeugte eine eigenwillige, fremdartige Stimmung beim Betrachter, und
die Landschaft war so realistisch auf die Leinwand gebracht,
daß er im Kerzenlicht das Gefühl hatte, durch ein
geschlossenes Fenster hinauszusehen in den Nebel.
Das Bild hatte trotz des herrschenden Nebels Tiefe. Der Blick
wurde tief hineingeführt in die fremdartige
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