Macabros 103: Nebel-Labyrinth des Tschonn
von dem meisten, was hier angeboten wird, nur
schweren Herzens trennen…« Er zuckte die schmalen
Schultern. »Aber was soll man machen? Man muß leben. Und
außerdem werde ich langsam alt. Irgendwann im Leben muß
man sich sowieso von allem trennen, was einem lieb und wert ist. Und
ehe der Zeitpunkt gekommen ist, wo man gezwungen wird, treffe ich
schon lieber selbst die Entscheidung über das Wann, so lange es
mir noch möglich ist…«
»Dann bin ich ein schlechter Kunde für Sie, Monsieur.
Ich nehme Ihnen nichts ab – ich bringe Ihnen noch etwas, auf
daß der Laden voll werde…«
Monsieur Henri seufzte. Er nahm seine Brille ab, hauchte sie an
und begann sie mit einem blaukarierten Taschentuch, das die
Größe eines Küchenhandtuchs hatte, blank zu
putzen.
»Ich hätte zwar lieber ein paar Francs verdient, als
welche herauszugeben – aber wenn ich Ihnen einen Gefallen tun
kann, helfe ich Ihnen natürlich gern… Kleider, ich
hab’s schon gesehen, als Sie hereinkamen. Damit läßt
sich natürlich heutzutage kein Blumentopf mehr zu gewinnen,
Monsieur… Sehen Sie sich um! Ich könnte eine ganze Kompanie
einkleiden… Jacken, Mäntel, Pullover, alte Hosen en
masse… darüber hinaus…«
»Ich will Ihnen nichts verkaufen«, nutzte Rani Mahay
schnell eine Atempause des Franzosen. »Ich will nur
tauschen… hier ein paar kostbare Kleider – gegen etwas
weniger Kostbares. Ich möchte ein altes, abgetragenes Hemd, ein
paar Blue jeans, ’ne Jacke vielleicht. Muß nichts
besonderes sein… dazu eine alte Aktentasche, in der man einen
Laib Brot und ’ne Flasche Rotwein verstauen kann…
dafür laß’ ich das hier. Eine Glimmerjacke, für
die man Ihnen gern zwei- bis dreihundert Francs auf den Tisch
blättert. Sie ist das Zehnfache wert. Betrachten Sie die
Verarbeitung, das Material… die Hose…, sie ist aus reiner
Seide gefertigt.«
Rani reichte die Gegenstände über den Tisch, und die
wächsernen Finger des alten Antiquitätenhändlers
griffen prüfend danach. Die Haut war spröde und trocken, an
ihr schien der Staub all der Dinge zu haften, die hier lagerten. Die
Finger war schmal und klein, fast knochig, als wären sie
abgegriffen von dem vielen ständigen Zur-Hand-Nehmen, Umstellen
und Umschichten.
Monsieur Henri wandte seinen Blick nicht von dem großen,
muskulösen Mann mit der prachtvollen Glatze.
»Ich nehme an, Sie erlauben sich keinen Scherz mit mir«,
sagte er dann leise.
»Aber Monsieur!« wehrte Rani empört ab. »Wie
käme ich darauf? Die Kleider sind tatsächlich soviel wert,
wie ich Ihnen…«
»Non, das meinte ich nicht. Das sehe ich selbst. Für
solche Dinge habe ich einen Blick. Was Sie mir hier bringen,
laßt sich an den richtigen Interessenten für eine
vielfachen Preis dessen verkaufen, als für den, den Sie mir
nannten, Monsieur… Sie bringen mir Gold – und wollen Blech
dafür. Ich verstehe den Grund nicht…«
Er schien dem Inder auf die Seele zu sehen und starrte ihn an wie
einen Geist.
Rani lächelte gewinnend. »Das ist ganz einfach. Eine
Wette… mit einem Freund. Wir sind eingeladen…« und bei
diesen Worten deutete er auf Danielle de Barteaulieé.
»Ein Freund meines Freundes gibt eine Partie. Die Gäste
sollen maskiert kommen. Im letzten Jahr ließ ich mich dort als
feiner Mann sehen, wie Sie unschwer an Jackett und Hose erkennen
können. Ich will die ganze Sippe überraschen, Monsieur. Ob
man mich auch als Clochard erkennt, wage ich zu
bezweifeln…«
Wie er es sagte, klang es überzeugend.
Rani wurde mit dem Antiquitätenhändler schnell
einig.
»Suchen Sie sich aus, was Sie für diese Maskerade
brauchen.«
Er fand mehr, als er suchte.
Er entschloß sich schließlich doch nicht für
abgewetzte Blue jeans, sondern für ein Paar Hosen, die einem
gehört hatten, der noch ein paar Kilo mehr schleppte als er.
Die Hosenbeine schlabberten um seine muskulösen Schenkel. Die
Jacke war von Motten durchlöchert, das Hemd sah aus, als
würde ihm bei der nächsten Wäsche endgültig das
Lebenslicht ausgeblasen.
Dazu wählte er einen Schal und einen alten Schlapphut, der so
verdrückt war, daß nichts und niemand ihn mehr in Form
bringen konnte.
Die Aktentasche paßte zu seinem Aufzug.
Zu guter Letzt machte er sich mit Danielle auf die Suche nach
einer Perücke. Auch hier konnte Monsieur Henri mit einer
wirklich stattlichen Auswahl aufwarten.
Von der eleganten Perücke aus der Zeit des Rokoko und des
Barock bis hin zum Pagenkopf und zur ungepflegten Langhaarfrisur
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