Macabros 103: Nebel-Labyrinth des Tschonn
war
alles vorhanden.
»Ich hab’ die Reste eines Friseurladens
aufgekauft«, erklärte er, als er Mahays fragenden Blick auf
sich spürte. »Wenn Sie auch noch ein Kosmetiktäschchen
benötigen, Monsieur?« fragte er, spitzbübisch
grinsend. »Ich kann mit rund zweihundert Exemplaren
dienen…«
»Nein, danke«, schüttelte der Inder den Kopf mit
der schwarzen, fettigen Langhaarfrisur. »Ich bin so vollauf
zufrieden. Mit dem Täschchen würde ich sicher
auffallen…« Er betrachtete sich im Spiegel,
»Bon«, sagte Mahay, »ich glaube, das war’s. Die
Maskerade ist perfekt. Ich kenn’ mich selbst nicht
wieder…«
*
Ehe er den Antiquitätenladen verließ, warf er einen
letzten Blick auf die Kleidungsstücke, die er
zurückließ.
Monsieur Henri hatte sie feinsäuberlich geglättet auf
einen Bügel gehängt. Die Glitzerjacke und die violette
Seidenhose hingen an der Tür zum Eingang des Hinterzimmers und
boten einen auffallenden Farbfleck in der grauen, stumpfen
Umgebung.
»Sie scheinen sich ungern von den Stücken zu
trennen«, sagte der Geschäftsinhaber, der einiges von der
Psyche der Menschen zu verstehen schien, die hier verkehrten.
»Mit gemischten Gefühlen«, bestätigte Rani.
»Ich habe eine letzte Bitte an Sie, Monsieur.«
»Und die wäre?«
»Gesetzt den Fall, Sie können die getauschten
Kleidungsstücke in den nächsten Stunden nicht verkaufen
– könnte ich sie wieder eintauschen?«
Monsieur Henri legte die Stirn in Dackelfalten.
»Wenn ich sie nicht verkaufe«, sinnierte er, »oui,
warum nicht.?«
Mahay viel ein Stein vom Herzen. »Es soll Ihr Nachteil nicht
sein, Monsieur!
Ich werde Ihnen ein paar Scheine dazulegen, das verspreche ich
Ihnen…«
Dann verließen Rani und seine Begleiterin den Laden.
Der Franzose schlurfte durch den Raum und blickte durch die
verschmutzte Glastür auf die Straße. Monsieur Henri nahm
die Nickelbrille ab und rieb sich die müden Augen.
»Komischer Kauz«, murmelte er. »Aber ein netter
Kerl…«
Als er die Hand wieder von den Augen nahm, konnte er Rani und
Danielle de Barteaulieé nirgends mehr sehen.
Dabei waren sie noch eben die Straße entlanggegangen, die
kerzengerade von seinem Geschäft wegführte… Und es gab
auf der Länge von einem halben Kilometer keine
Seitenstraße, in die sie hätten verschwinden
können.
Es war gerade so, als hätte der Erdboden sie
verschluckt…
*
Der kleine Mann wandte sich verwirrt um und ging zur Ladentheke
zurück.
Vor der altmodischen Registrierkasse bewegte sich ein
Schatten.
Monsieur Henri zuckte unwillkürlich zusammen.
Da war etwas!
Es hockte vor der Kasse und blickte ihn aus böse funkelnden
Augen an.
Eine fette Krähe, die sich mit ruckartigem Flügelschlag
erhob und auf ihn zuschnellte…
In einer anderen Zeit, einem anderen Land, stand ein Mann inmitten
von Flammen.
Die Zeit war die Vergangenheit, genau jener Zeitpunkt 8734 Jahre
vor dem Untergang einer Welt, die bereits eine hochentwickelte
Zivilisation hervorgebracht hatte, noch ehe auf anderen Kontinenten
Menschen zu denken begannen.
Das Land war – das sagenhafte, legendäre Xantilon, einer
jener Urkontinente, die mit Atlantis, Lemuria, Hyberborea und Mu in
einem Atemzug genannt wurden.
Der Mann – das war Macabros, Björn Hellmarks
Zweitkörper.
Björn Hellmark selbst, jener mutige Mann, der Tod und Teufel
nicht fürchtete, der es gewagt hatte, mit seiner treuen
Gefährtin Carminia Brado in das Schreckens-Zentrum
Rha-Ta-N’mys einzudringen, um der Dämonengöttin
gegenüberzutreten, wußte nichts von der augenblicklichen
Existenz seines Doppelkörpers.
Die Verdoppelung war unbewußt, in einem Moment höchster
Gefahr für ihn zustande gekommen. Macabros war ins Universum und
in eine andere Zeit geschleudert worden. Durch die geistige Mithilfe
Al Nafuurs, seines unsichtbaren Freundes aus dem Zwischenreich, war
die Bewegung in Zeit und Raum beeinflußt worden.
Macabros war abhängig vom Leben Björn Hellmarks. Bisher
war es stets so gewesen, daß alle
Bewußtseinseindrücke Macabros’ zum Wissen Hellmarks
wurden, daß er ständig über jeden Schritt, jede
optische und akustische Szenen, jedes Erlebnis unterrichtet worden
war. Doch diesmal war alles anders.
Hellmark hing wie eine Fliege im Netz. Die Arme waren gespreizt,
leicht gespreizt auch die Beine. Sein Körper war nach vorn
gebeugt, die Augen waren geschlossen. Es war nicht zu sehen,
daß der blonde Mann noch atmete. Im Netz einer Gigantenspinne
schien er nur
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