Macabros 106: Die gläsernen Dämonen von Etak
zwischen den Fingern
zerbröckeln.
Doch wie durch ein Wunder geschah es nicht.
Jene Lehrerin stieß auf einen handschriftlichen Text, der in
französischer Sprache verfaßt war. Es war die Sprache des
18. Jahrhunderts, der galanten Zeit… Der Text bereitete ihr
deshalb einige Schwierigkeiten. Sie erfuhr, daß die Zeilen von
einem Alchimisten niedergeschrieben worden waren, der in einem
modrigen Kellerloch mitten in Paris hauste und geheime Experimente
durchführte. Diesem Mann – es war der Marquis de Chamont
– waren einige Seiten des mysteriösen ›Buches der
Totenpriester‹ in die Hände gefallen. Die Sprache, in der
dieses Buch abgefaßt war, ist mir unbekannt. Der Marquis, ein
weltgewandter Mann, vielseitig interessiert und gebildet, konnte
jedenfalls einige Passagen verstehen, wenn auch nicht alles. Die
Stellen, die er zu übersetzen in der Lage war, schrieb er
heraus. Dabei handelte es sich praktisch um eine kleine
Zusammenfassung des Textes, der ihm vorlag, den er zum Teil selbst
interpretiert hatte, weil er kein volles Verständnis dafür
hatte.
Der handschriftliche Zettel, den die Frau fand, enthielt Formeln
und Worte für die Anrufung der Dämonengöttin und ihres
Menschendieners Molochos. Er war der erste aus Fleisch und Blut
gewesen, der erste aus dem Menschengeschlecht, der Rha-Ta-N’my
verehrte und ihre Wiederkehr anstrebte…
Die Lehrerin, von der ich berichte, wurde hineingezogen in den Sog
und den Bann eines Texters, der ihr Leben - und das vieler anderer,
die sich daraufhin dann regelmäßig hier trafen – von
Grund auf…«
Das Hotel Fraque wurde zum Treffpunkt für
Molochos-Anhänger und schließlich zu einem seiner
markantesten und verläßlichsten Brückenköpfe auf
der Erde.
Charmaine Fraque schien nach anfänglichem Zögern nun mit
einer gewissen Freude zu berichten.
Wollte sie sich befreien – oder machte es ihr einfach
Spaß, ihren beiden Zuhörern mit ihrem Wissen zu
imponieren?
Rani Mahay und Danielle de Barteaulieé erfuhren, daß
in diesem Hotel Molochos auch persönlich mehrere Male
aufgetaucht war.
Sie wollte sich näher darüber auslassen, wurde aber
unterbrochen.
Sie hielt inne.
Da war etwas!
Ein ungewohntes Geräusch drang kaum hörbar an ihre
Ohren.
Motorengeräusch…
Rani und Danielle sahen sich nur an.
»Da fährt ein Wagen auf das Grundstück«, sagte
Rani verwundert.
Das war in der Tat ungewöhnlich, und niemand von ihnen hatte
etwas Derartiges erwartet.
Das Hotel lag sehr weit abseits. Entweder kam jemand aus dem
Nachbardorf, um Madame Fraque einen Besuch abzustatten, oder ein
zufällig vorbeikommender Gast, der an der Straße das immer
noch dort angebrachte, verwitterte Hinweisschild auf das Hotel
entdeckt hatte, suchte Unterkunft für die Nacht.
Unter ›normalen‹ Umständen war die paralysierte
Charmaine Fraque in der Lage, Besuchern so zu erscheinen, wie
diejenigen es erwarteten. Charmaine Fraque konnte als Geist
erscheinen, in Gestalt jener alten Frau, die ursprünglich auch
hier oben wohnte und wirkte.
Aber jetzt konnte sie gar nichts. Whiss hatte sie bis auf wenige
Lebensäußerungen völlig unter Kontrolle.
»Ich seh mal nach. Ich bin sofort wieder zurück«,
erbot sich Danielle.
Der vorangeschrittenen Zeit nach konnte es sich eigentlich nur um
einen verirrten und todmüden Gast handeln, der für den Rest
der Nacht ein Bett suchte…
Wahrscheinlich ein völlig Fremder. Die Bekannten Charmaine
Fraques waren allesamt drüben in Mrowop, der Stadt zwischen den
Dimensionen, gefangen.
»Paß auf!« rief Rani ihr noch nach.
Danielle durchquerte den halbdunklen Keller, eilte dann die
ausgetretenen, schmalen Treppen nach oben und kam in dem Zimmer an,
in dem Camilla Davies durch die Aktivitäten der
Horror-Gespenster Madame Fraques zu Tode gekommen war.
Gleich nach ihrer Ankunft aus dem Zwischenreich hatten Rani und
Danielle endlich das tun können, was sie so lange im Sinn
hatten: Die Leiche des Ursen-Mediums Camilla von hier wegschaffen und
nach Marlos bringen. Dort war sie inzwischen bestattet worden. Und so
war es nicht Ak Nafuurs Grab, das ursprünglich als erste
Stätte des Todes auf der unsichtbaren Insel eingerichtet worden
war, sondern das Camilla Davies’.
Das Grab Ak Nafuurs war inzwischen beseitigt und eingeebnet
worden, so daß nichts mehr an dieses ›Scheingrab‹
erinnerte, in dem nie jemand beigesetzt worden war…
Danielle eilte durch den langen, dunklen Korridor, stieß die
Tür des U-förmigen Anbaus hinter dem
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