Macabros 106: Die gläsernen Dämonen von Etak
Hotelgebäude auf
und stürzte ins Freie. Es war schon nicht mehr richtig dunkel.
Der nahende Morgen kündete sich an.
Es war kühl und feucht, Tau lag auf den Grasbüscheln und
den Blättern des Löwenzahns, der in großer Zahl in
dem steinigen Hof wuchs.
Danielle bog um die Hausecke und sah den dunkelroten Citroen
neuesten Baujahres ausrollen…
*
Sie war da.
Dies war ihr Ziel.
Sie wußte es genau.
Und als sie den Motor abschaltete, war die Stimme wieder in ihr.
Diesmal ganz nahe, nicht mehr so schwach und fern wie das erste
Mal.
»Es ist gut, daß du gekommen und meinem Ruf gefolgt
bist. Du weißt, was du zu tun hast…«
Instinktiv nickte Marie Rouvier, als müsse sie die lautlosen
Worte in ihrem Kopf bestätigen.
Die blonde Frau aus Paris sah die andere um die Hausecke
kommen.
»Das ist sie! Danielle de Barteaulieé!« sagte die
Stimme in ihr, als könnte die nackte Frau in der Nische eines
makabren Kellers mit ihren Augen alles sehen.
Marie Rouvier öffnete die Tür auf ihrer Seite und drehte
die langen, wohlgeformten Beine nach außen.
Sie wirkte müde und übernächtigt. Man sah ihrem
bleichen Gesicht an, daß sie eine anstrengende Fahrt hinter
sich hatte.
Danielle de Barteaulieé war noch vier Schritte von dem
dunkelroten Citroen entfernt, als Marie Rouvier sich von ihrem Platz
erhob.
»Sieht ziemlich verlassen hier aus«, bemerkte sie matt.
Sie sah sich in der Runde um. »Ich hoffe trotzdem, daß ich
ein anständiges Frühstück bekommen kann… Auf
einen Schlafplatz bin ich nicht erpicht. Ich habe zwei Stunden im
Wagen geschlafen. Die Polsterung ist weich, und doch tun mir
sämtliche Knochen weh im Leib…«
Da hielt sie den Derringer auch schon in der Hand.
Sie verlor durch Zögern keine Sekunde.
Danielle sah es metallisch in der Hand der fremden jungen Frau
aufblitzen. Dann blitzte ein kurzer, heller Mündungsstrahl. Der
Schuß bellte…
Danielle de Barteaulieé griff sich an die Brust.
Getroffen stürzte sie zu Boden, blieb mit dem Gesicht nach
unten liegen und rührte sich nicht mehr.
»Gut gemacht!« sagte die Stimme im Bewußtsein der
Frau, die in der letzten Nacht einige merkwürdige Dinge getan
hatte, um in den Besitz des gekennzeichneten Derringers zu kommen,
einen Wagen gestohlen hatte, und ohne auch nur eine einzige Minute
eine Pause einzulegen, die Wegstrecke von Paris bis hierher
zurücklegte…
Marie Rouvier trat einen Schritt nach vorn, stieß mit dem
rechten Fuß nach dem schlaffen, reglosen Körper und drehte
ihn mit einem Ruck herum.
Danielle de Barteaulieé rollte auf den Rücken.
Genau in Höhe ihres Herzens saß das
Einschußloch.
Rot sickerte das Blut hervor und tränkte ihre Bluse.
»Mitten ins Schwarze«, sagte Marie Rouvier
triumphierend. »Etwas anderes war mit dieser Waffe auch nicht zu
erwarten…«
*
Sie hielt sich keine Sekunde unnötig auf.
Marie Rouvier achtete nicht weiter auf die Erschossene, machte auf
dem Absatz kehrt und ging den Weg um das Hotel herum, den Danielle de
Barteaulieé gekommen war.
Mit traumwandlerischer Sicherheit lief sie durch den Korridor, der
links und rechts jeweils von zehn Zimmertüren flankiert wurde.
Dies waren die Räume, die Madame Fraques gespenstischen
Gästen als ›Tore nach Mrowop‹ zur Verfügung
gestanden hatten.
Obwohl Marie Rouvier nie zuvor in ihrem Leben hier gewesen war,
wußte sie darüber Bescheid. Sie fand sich in der Umgebung
zurecht.
Alles lief wie am Schnürchen, wie in der Nacht zuvor das
Besorgen der Waffe, der Diebstahl des Wagens, die Fahrt zu diesem
einsam gelegenen Hotel nur ein Programm für sie gewesen war, das
sie absolvierte, war auch der vor ihr liegende Weg wie ein Muster in
ihr verankert.
Sie stieß die hinterste Tür des Korridors auf, die den
Gang praktisch beendete.
In diesem Raum herrschte noch die Kälte, die Charmaine Fraque
so sehr liebte. Spuren einer dünnen Eis- und Reif schicht
zeigten sich an den Möbeln und den Wänden.
Da stand ein auffallend großes und schönes Himmelbett.
Es war seitlich verschoben, so daß der Einstieg in den
Geheimgang deutlich zu sehen war. Nur von hier aus war es
möglich, den geheimnisvollen, makabren Keller zu betreten, in
dem Madame Fraque von ihren eigenen Kräften aus dem PSI-Feld des
Zwischenreichs gefangengehalten wurde…
Doch die Befreierin war unterwegs. In Gestalt der Mörderin
Marie Rouvier, in deren Bewußtsein immer mehr Bilder aus der
Vergangenheit und einem dort verankerten Erlebnis aufstiegen.
Sie wußte,
Weitere Kostenlose Bücher