Macabros 114: Kaphoons Grab
ungewöhnliches Geräusch hörte.
Ein metallisches Scheppern, nahe dem Haus, ließ ihn
förmlich zusammenfahren.
Der grauhaarige Mann beugte sich aus dem Fenster.
»Das gibt es doch nicht!« entfuhr es ihm, und dann war
er endgültig hellwach.
Das Haupttor!
Es war nicht abgeschlossen. Der eine Torflügel schlug bei
jedem Windstoß gegen die noch befestigte Hälfte. Das
Klappern des Fensterladens und das Schlagen des eisernen Tores hatten
ihn gleichermaßen geweckt.
Marshs Augen verengten sich. Der Wind, der durch das offene
Fenster blies, zerzauste sein dünnes Haar. Er fuhr in die Wipfel
der nahen Bäume und brachte die alten schweren Äste ins
Wanken.
Marsh konnte von seinem Schlafzimmerfenster aus einen großen
Teil des Friedhofes überblicken.
Er war schon dabei, in den Raum zurückzuweichen, das Fenster
zu schließen und wollte dann hinuntergehen, um das Tor zu
verriegeln, als er noch auf etwas aufmerksam wurde, das ihn aufs
äußerste irritierte und er sich zu fragen begann, ob er
wirklich schon wach war oder noch träumte.
Dort vorn in der Dunkelheit – schimmerte schwacher
Lichtschein!
Es war jemand auf dem Friedhof!
William Marsh schlüpfte in seine Hose, zog feste Schuhe und
seinen signalgelben Wettermantel an und lief aus dem Haus, ebenfalls
eine Taschenlampe in der Hand.
Seit dreiundzwanzig Jahren hatte er die Stelle als
Friedhofsverwalter inne. So etwas wie heute war noch nie passiert.
Jemand machte sich bei Nacht und Regen hier zu schaffen.
Das Tor stand nicht zufällig offen.
Da war einer mit einem Dietrich oder Nachschlüssel zu Werke
gegangen.
Aber – warum?
Die Zeit, daß man wie im Mittelalter nachts einen Friedhof
aufsuchte, um nach einem verborgenen Schatz zu suchen oder eine
magische Totenbesprechung durchzuführen, war schließlich
vorbei…
Zuerst sah er sich das Tor an und schloß es, daß die
beiden Hälften nicht mehr gegeneinanderschlagen konnten. Dann
lief er durch den Regen den Pfad entlang, der zur Reihe H
führte, wo der Lichtschein herkam…
*
Damit hatte er nicht gerechnet!
Cooner hatte immer geglaubt, Nerven wie Drahtseile zu haben. Aber
als die bleiche Totenhand sich über den Sargrand schob, wurde es
auch ihm mulmig.
Er kroch aus der Grube, den Kopf nach hinten gedreht, um zu sehen,
was sich weiter tat.
Die Leiche richtete sich auf!
Es war ein etwa dreißigjähriger Mann mit eingefallenen
Wangen und einer Haut, die sich wie sprödes Pergament über
die Knochen spannte.
Der Schädel zeigte eine häßliche Operationsnarbe,
die kaum verheilt war und unwillkürlich mußte Marvin
Cooner an Frankenstein denken, der aus Leichenteilen sein Monster
zusammengesetzt hatte.
Cooners Herz pochte, und als er oberhalb des Grabrandes stand,
wurde ihm gar nicht bewußt, daß die Stelle, an der er
sich befand, nicht vom Regen erfaßt wurde, daß immer da,
wo er sich bewegte, praktisch eine trockene Stelle vorhanden war.
Der Untote kam!
Cooner hielt den Spatenstiel wie einen Knüppel umklammert,
als müsse er sich im nächsten Moment gegen einen Angriff
zur Wehr setzen.
Er konnte seinen Blick nicht von dem kahlgeschorenen Schädel
wenden, auf dem in der Zeit nach der Beisetzung dieses Mannes
inzwischen einige Stoppeln nachgewachsen waren.
Wie ein Deckel saß der obere Teil der Schädeldecke auf
dem unteren. Bei jeder Bewegung, die der dem Sarg Entstiegene machte,
wackelte der ›Deckel‹, so daß Cooner damit rechnete,
er würde beim nächsten Schritt herunterfallen.
Dieser Mann war offensichtlich nach einer Operation oder einem
Unfall gestorben.
Billy Sheridan…
Plötzlich erinnerte auch Cooner sich, diesen Namen irgendwann
schon mal gelesen zu haben.
Vor einigen Wochen war es passiert… Billy Sheridan,
Privatdetektiv aus London, war nach einem mysteriösen Unfall
nicht mehr zu sich gekommen. Trotz einer sofort durchgeführten
Notoperation war sein Leben schließlich erloschen.
Marvin Cooner schluckte hart.
Der heutige Tag hatte es in sich.
Das hier war starker Tobak, und er merkte die Gänsehaut, die
ihm über den Rücken lief, obwohl er sie nicht wahrhaben
wollte.
Bisher hatte er nur Untote in Grusel-Filmen erlebt. Nun stand er
leibhaftig einem gegenüber! Das packte ihn…
Die ehemalige Leiche kam aus dem Grab. Mit leeren Augen starrte
sie Cooner an, als erwarte sie von ihm eine Auskunft über das,
was hier geschehen war.
Der Mann trug sein Totenhemd, sonst nichts auf der Haut.
Unheimlich und gespenstisch war die Situation, und Cooner wäre
am
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