Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher
schweigst,
weißt du, was dich erwartet… Ich brauche den Druck nur
noch einmal zu verstärken – und es wird dich nicht mehr
geben. Der unheilige und todbringende Geist, der in diesem
Körper steckt, wird dann entweichen wie die Luft aus einem
Ballon, in den man eine Nadel sticht.«
Die Worte waren noch nicht verklungen, da riskierte der Alte einen
Ausfallversuch.
Mit heftigem Ruck versuchte er sich loszureißen und wollte
sich gleichzeitig auf die Seite werfen, um zu fliehen.
»Tekko!« rief er.
Da ging’s auch schon drunter und drüber.
Carminia Brado wurde durch John Smith’s plötzlichen
Körperruck nach vom gerissen, landete auf dem Plüschsofa,
und der Cockerspaniel, der die ganze Zeit über einen derart
müden Eindruck gemacht hatte, schnellte in die Höhe, als
würde er im gleichen Augenblick von einem Katapult
abgeschossen.
Der Hund fletschte die Zähne und sprang Björn Hellmark
an. Die Wucht des plötzlichen Angriffs war so heftig, daß
Hellmark total überrascht wurde.
Das Tier knallte mit Wucht auf seine Brust, warf ihn zurück,
und dann schnappten die Zähne auch schon nach seiner Kehle.
*
Ins Reich der Geister und des Todes hatte Carminia Brados Geist
aufgrund ihrer Einwilligung zum Körpertausch mit Doc Shadow
Eingang gefunden.
Das Schattenreich war mit den normalen Sinnen nicht zu erfassen,
und es war unmöglich, körperlich in diese Daseinsebene
einzudringen.
Sie selbst war eine rein geistige Existenz, wie es die Geister der
Toten waren, die in dieser Ebene hausten. Ob vorübergehend oder
für immer, das war jeweils von Fall zu Fall verschieden.
Das Reich der Schatten war riesig und bestand aus verschiedenen
Ebenen. Es gab hier wie auch in der sichtbaren Welt, Geister
höherer und niederer Rangordnung. Durch Shadows Aufenthalt in
dieser Bewußtseinsebene war ihr bekannt geworden, daß
dieses Reich undurchdringlich wie ein Dschungel, fremdartig und
voller unerforschter Risiken war. Überall in
unergründlichen Tiefen lauerten Gefahren, die man vorher nicht
als solche erkennen und bezeichnen konnte.
Daß in einem Land der Geister ein dreidimensionaler
Gegenstand sein konnte, wollte ihr nicht in den Sinn.
Die schimmernde Aura, in der ihr Geisterleib sich bewegte und die
sie wie ein helles Strahlenfeld umgab, stand vor der Puppe.
War es ein Bild ihrer Erinnerung, das sie aus fernen
Kindheitstagen mitgebracht hatte und das hier in diesem Geisterreich
zu neuem Leben erwachte?
Eine Puppe, die weinte wie ein Mensch, die gab es doch nicht!
In ihrer Phantasie jedoch – und daran entsann sich Carminia
ganz genau – hatte die Puppe oft geweint.
Es war ihre Lieblingspuppe, mit der sie so gern gespielt
hatte.
Sie trug ein fadenscheiniges Kleid aus roter Seide, das mit
Rüschen besetzte Ärmel hatte. Das Haar war schwarz, das
Gesicht lieblich, die Nase klein. Die kirschenfarbigen Augen
schimmerten, als würden sich Tränen in ihnen befinden.
Die Puppe hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer spanischen
Flamenco-Tänzerin. Das kam wahrscheinlich daher, weil das rote
Seidenkleid so festlich wirkte.
»Maria!« Carminia Brado dachte diesen Namen. Sprechen
konnte sie nicht, und doch vernahm sie den Klang des Namens deutlich
in ihrem Bewußtsein, als hätte sie ihn in diesem Moment
ausgesprochen. »Maria! Wie kommst du hierher?«
Sie konnte es noch immer nicht fassen, und war überzeugt
davon, daß dies auf Einbildung beruhte, ein Trugbild ihrer
Phantasie war, die hier bei den besonderen Bedingungen der
Geisterwelt sichtbare Gestalt annahm.
Carminia »griff« nach der Puppe, die leise schluchzend
vor ihr lag und der die Tränen über die Wangen rollten.
Die Brasilianerin spürte die Berührung und fuhr
zusammen.
Die Puppe war keine Einbildung! Sie war dreidimensional. Oder
– empfand sie dies nur so?
»Warum?« sagte da eine leise, helle Stimme in ihr.
»Warum hast du mich in die dunkle Kiste gesperrt?«
Carminias Geist registrierte die »Worte« in ihrem
Bewußtsein: Die Puppe sprach zu ihr, und es war ein
Zwiegespräch wie damals in ihrer Kindheit.
Die Zeit von damals schien mit riesengroßen Schritten
zurückzukommen…
Ihr Bewußtsein und Erinnerungsvermögen war so klar,
daß sie meinte, die Dinge hätten sich erst vor wenigen
Stunden abgespielt.
Dabei lagen zwei Jahrzehnte dazwischen.
Aber – konnte und durfte man hier im Reich der Toten und der
Geister mit den herkömmlichen Begriffen von Raum und Zeit
hantieren?
Die dunkle Kiste!
Sie sah sie deutlich vor ihrem
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