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Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher

Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher

Titel: Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Shocker
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geistigen Auge.
    Das Objekt stand im Keller des alten Hauses, in dem sie mit den
Nachbarskindern gespielt hatte.
    Die Kiste war eine riesige Truhe, schwarz und unheimlich sah sie
aus mit all den darin eingeschnitzten Fabeltieren, Drachen und
Ungeheuern. Es ging das Gerücht um, daß in dem Haus mal
eine uralte Frau gelebt hatte, die als Zauberin und Gesundbeterin
bekannt war. In der Truhe hätte sie ihre Zauberutensilien
aufbewahrt.
    Als sie starb, hätte sich alles wie ein Spuk in Luft
aufgelöst. Geblieben sei nur die alte, handgeschnitzte Truhe.
Sie blieb im Keller stehen, geriet mit der Zeit in Vergessenheit, und
die Kinder der umliegenden Häuser spielten darin Versteck.
    Carminia erinnerte sich ganz deutlich.
    Ein schwüler Gewitternachmittag in Rio de Janeiro kam ihr in
den Sinn.
    Der Regen hatte schlagartig und so massiv eingesetzt, daß
keines der spielenden Kinder es mehr wagte, das Haus am Ende der
Straße zu verlassen.
    Vom Berg stürzte das Wasser und rauschte über den
lehmigen Abhang, riß Grasbüschel und Steine und vor allem
die braune, weiche Erde mit.
    In dem alten Haus waren die spielenden Kinder
verhältnismäßig sicher. Das Dach war zwar nicht ganz
dicht, aber es gab genügend Ecken und Winkel, in denen man sich
verkriechen konnte und trocken blieb.
    Dort, wo die Truhe stand, war es am düstersten, und durch die
Kellerdecke tropfte vor allem auch kein Regen.
    Sie waren zu viert an diesem Nachmittag.
    Drei Mädchen und ein Junge.
    Carminia sah ihn genau vor sich. Pedro… ein kleiner,
pummeliger Kerl mit pausbäckigem Gesicht. Damals waren sie
sieben Jahre alt…
    Pedro liebte es, sich in der Kiste zu verkriechen. Anfangs war
dieses Versteck ideal. Gerade, um ›Geister‹ zu spielen,
unverhofft den Deckel von innen hochzudrücken und mit lautem
»Buhuu« die anderen zu erschrecken.
    Die spitzen Schreie der Erschreckten hallten dann durch den
düsteren Keller, und das gespenstische Echo erweckte den
Eindruck, als würden außer ihnen noch andere Kinder in der
Dunkelheit lauern und ihr Rufen und Schreien nachäffen.
    An diesem Gewitter-Nachmittag tat Carminia etwas, was sie nie
zuvor getan hatte: sie verkroch sich in die Kiste, um das Unwetter
nicht miterleben zu müssen.
    Es blitzte und donnerte ununterbrochen.
    Wie riesige Geisterfinger wirkten die Blitze, wenn sie durch die
leeren Fensterlöcher fielen, über die kahlen, rissigen
Wände zuckten und bizarre Formen und Gestalten aus dem Nichts
heraus schufen.
    Die Luft ringsum erzitterte, wenn die Donnerschläge
erschollen. Verputz rieselte von den Wänden.
    Dann schwächte das Gewitter sich ab.
    Von draußen waren Rufe zu hören.
    Die Stimmen der Eltern der Kinder, die aus den Wohnungen gekommen
waren, und nach dem heftigen Unwetter hofften, daß mit ihren
Zöglingen alles in Ordnung war.
    In vielen Straßen Rios stand das Wasser, in vielen
Häusern waren die Keller überflutet.
    Der Wind hatte Stände vor den Geschäften umgerissen. Auf
den Gehwegen und Straßen lagen riesige Mengen von Papier und
Kisten, schwammen Früchte und Waren.
    Kaum hörte Carminia die Stimme ihrer Mutter, stieß sie
den Deckel der Kiste zurück und kletterte nach
draußen…
    »Ja«, sagte sie in Gedanken zu ihrer Puppe, deren
Schluchzen sie noch immer hörte und deren Tränen sie noch
immer sah. »Du warst mit mir damals in der Kiste, aber ich hatte
dich nicht eingesperrt… ich hatte dich in der Eile
vergessen.«
    Ihre Mutter schloß sie in die Arme, als sie die
ausgetretenen, morschen Kellertreppen hochlief.
    Dann ging’s zurück in das Haus, das eines der wenigen in
der Straße war, in dem die Fenster nicht gesprungen waren und
das keinen Wasserschaden aufwies.
    Die ganze Stadt sprach in den nächsten Tagen von dem Unwetter
und auch von der Rettung der Kinder, denn kurz nachdem sie aus dem
Haus geholt worden waren, kam es dort zu einem Zwischenfall.
    Eine Mauer im Keller des baufälligen Hauses brach ein. Der
Regen hatte das Fundament unterspült, und die Wand sackte weg.
In wenigen Minuten war der Keller überflutet. Hätten sich
zu diesem Zeitpunkt die Kinder dort noch aufgehalten, wären sie
alle ertrunken.
    Als die siebenjährige Carminia kurz darauf von ihren Eltern
zu hören bekam, daß sie nie wieder in das alte Haus gehen
und dort spielen dürfe, fiel es ihr siedendheiß ein.
    »Die Puppe… meine Lieblingspuppe Maria… ich habe
sie dort zurückgelassen!« Sie glaubte die Worte, die sie
damals zu ihrer Mutter und ihrem Vater sagte, in diesen Sekunden

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