Macabros 125: Das Zauber-Pergament
Höhle, die
sie durchschritten hatten.
Die kreisrunden, an Monde erinnernden Gesichter lösten sich
von ihren Standorten und schwebten gespenstisch und lautlos durch die
Düsternis.
Jeder Kopf glitt auf einen anderen Körper zu.
In dem Moment, als die Gesichter ihre Körper gefunden hatten,
erstand wie in Zeitlupe ein neues Bild.
Die Köpfe zeigten sich in ihrer Originalgestalt.
In Björns Nähe stand ein alter Mann. Graues,
strähniges Haar bedeckte seinen Kopf. Verwirrt blickte der Mann
sich um, als nähme er seine schaurige Umgebung zum erstenmal
bewußt wahr.
Jims runder Kopf mit dem kammartigen Auswuchs, der bis tief in den
Nacken reichte, saß auf dem Originalkörper. Pepes Gesicht
verlor seine Mondgestalt und nahm das ursprüngliche Aussehen
wieder an.
Das Mädchen Verena, mit dem Pepe nach seiner Ankunft in
diesem Alptraumreich einige Worte gewechselt hatte, trug das
weizengelbe Haar zu langen Zöpfen geflochten, und ihre blauen
Augen strahlten den Jungen an, der nur durch drei andere Personen von
ihr getrennt war.
Einen Moment entstand ein ganz eigenwilliger Zauber.
Carminia, Björn und Rani merkten, wie sie der Stimmung
verfielen, wie sie für kurze Zeit vergaßen, wessen Kraft
hier wirkte.
Sekunden der Unachtsamkeit…
Gefahr!
Rha-Ta-N’my ging zum Angriff über.
Aus den sich auf- und abwärts bewegenden Schattenflügeln
lösten sich blitzschnell handgroße Stücke und
entwickelten sich im Flug zu schrecklich aussehenden Vögeln mit
langen, rasiermesserscharfen Schnäbeln, die wie Sägen
gezackt waren.
Explosionsartig flogen die schwarzen Tiere auf Björn
Hellmark, Carminia Brado und Rani Mahay zu, und aus den Kehlen der
unheimlich anzusehenden Tiere gellten schreckliche Laute, die die
Luft und ihre Trommelfelle erzittern ließen.
*
Richard Patrick begab sich umgehend zu Silvia Lastrom.
Die Jenseitsstimmen-Forscherin und Astrologin verschloß die
Tür hinter dem Besucher.
»Gut, daß Sie so schnell gekommen sind«, sagte sie
leise, während sie den Verleger in das angrenzende Zimmer
führte, in dem die Armaturen installiert waren. »Es ist
höchste Zeit. Ich glaube, daß der Empfang schwächer
geworden ist. Ich habe während der letzten Minuten nur noch sehr
leise und kaum verständliche Stimmen vernommen. Es ist fast so,
als würden andere versuchen durchzukommen, als wollten sie etwas
mitteilen…«
Silvia Lastroms seidener Morgenmantel raschelte.
Die Frau war dezent geschminkt, trug das Haar perfekt gekämmt
und eine rosaschimmernde Perlenkette um den Hals.
»Senator Capsul«, sagte die Astrologin in das Mikrofon.
»Können Sie mich hören? Der Gast, dessen Anwesenheit
Sie wünschten, ist hier…«
Das Kratzen und Schaben in den Lautsprechern der Anlage
verstärkte sich.
Dann war ein Geräusch zu hören, das an heftiges Atmen
erinnerte, gerade so, als hätte jemand Schwierigkeiten mit dem
Sprechen.
»Hier ist… Capsul… Mister Patrick… Sind Sie
wirklich da? Sprechen Sie, damit ich Ihre Stimme hören
kann…«
Die Stimme war jetzt klar zu empfangen.
»Ich bin hier, Senator«, bestätigte der Gefragte.
»Ich bin Richard Patrick.«
»Gut. Dann kann ich frei und offen sprechen. Was ich Ihnen
mitzuteilen habe, Patrick, hebt Ihr Weltbild aus den Fugen.
Hören Sie mir gut zu… konzentrieren Sie sich ganz auf meine
Stimme! Ich weile nicht mehr unter den Lebenden… ich wurde
letzte Nacht in Washington ermordet. Ich will Ihnen erstens meinen
Mörder nennen und möchte, daß Sie seinen Namen in
Ihrer Zeitschrift veröffentlichen. Ich will Ihnen zweitens die
Möglichkeit geben, mit diesem Mörder Kontakt aufzunehmen.
Aber seien Sie auf der Hut, Patrick! Nicht jeder, der wie ein Mensch
aussieht, ist auch einer! › Omegas ‹ sind mitten unter
uns…«
»Ich weiß«, erwiderte der untersetzte ’ Mann.
Die Anwesenheit der Fremden in menschlichen Körpern war ihm
bekannt. Als Informant und Freund Björn Hellmarks hatte er von
der Entdeckung erfahren.
»Gut, daß Sie gekommen sind, Patrick, denn Sie wissen
schon fast ein wenig zuviel.«
Schon mit den ersten Silben des Satzes geschah es.
Die Trennwand zum nächsten Zimmer öffnete sich wie der
Rachen eines getarnten Ungetüms.
Eisige Kälte fegte in die Hotel-Suite Silvia Lastroms, und
ein formloser Schatten sprang Richard Patrick an, ehe dieser begriff,
was los war und die Entscheidung treffen konnte, sich mit einem
konzentrierten Gedanken nach Marlos zu versetzen.
Die Dunkelheit hüllte ihn ein.
Patrick hatte das
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