Mach doch - Roman
Einschüchterung und Manipulation ihre Machtposition zu festigen. Beth hatte als ihre Sekretärin fungiert, und wie es schien, hatte sie sich ein Beispiel an ihrem Verhalten genommen.
Lauren hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie so mit sich selbst beschäftigt gewesen war und darüber nicht bemerkt hatte, dass ihre Schwester unter ernst zu nehmenden psychischen Problemen litt. Dasselbe galt für ihre Großmutter. Lauren war nicht klar gewesen, wie schlimm es offenbar um deren geistige Gesundheit bestellt war. Ihr Verhältnis zueinander war seit Jahren getrübt, deshalb hatte sie die alte Dame nur sporadisch zu Gesicht bekommen, wenn sie Beth besuchte.
Mittlerweile weilte Mary Perkins nicht mehr unter den Lebenden, aber Lauren wusste aus eigener Erfahrung, dass sich ihre Großmutter hervorragend darauf verstanden hatte, das Denken und Verhalten ihrer Mitmenschen zu beeinflussen. Man hatte die ehemalige Bürgermeisterin damals in Untersuchungshaft genommen, da auch sie sich so einiges hatte zuschulden kommen lassen, und dort war sie kurz nach dem von Beth verursachten Brand einem Herzinfarkt erlegen. Und Beth starrte seither hier in der Abteilung
für geistig abnorme Rechtsbrecher schweigend Löcher in die Luft.
Lauren besuchte ihre Schwester mindestens einmal im Monat, wenn es ging auch öfter. Genau wie früher schien sich ihr Leben nur um Beth zu drehen. Schon in ihrer Kindheit hatte sich Lauren um ihre kleine Schwester kümmern müssen. Ihre Eltern hatten keine Zeit für sie gehabt, deshalb hatte Lauren, die fünf Jahre älter war als Beth, die Rolle von Vater und Mutter übernommen, hatte sozusagen als Autoritätsperson fungiert. Trotzdem waren sie sich sehr nahegestanden. Lauren hatte mit Beth schon damals alle Hände voll zu tun gehabt, und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Selbst jetzt, mit siebenundzwanzig, musste sie in Aktion treten, wenn ihre Schwester etwas angestellt hatte.
Sie hasste das Gefängnisgelände, und die Spezialabteilung für psychisch kranke Straftäter, in der Beth untergebracht war, fand sie schrecklich bedrückend. Trotzdem kam sie regelmäßig hierher, in der Hoffnung, die Rekonvaleszenz ihrer Schwester zu beschleunigen, indem sie als Beths Schnittstelle zur Außenwelt fungierte.
Heute lag Beth zur Abwechslung nicht im Bett, sondern saß auf einem Stuhl, doch abgesehen davon war alles wie immer. Vor ihrem Zusammenbruch war sie stets makellos, wenn auch nicht unbedingt topmodisch gekleidet gewesen. Mode, das war stets mehr Laurens Metier gewesen. Ihre Lieblingsfarbe Orange hatte sie allerdings aus ihrer Kollektion verbannt,
nachdem sie Beth bei der Einlieferung in der leuchtend orangefarbenen Gefängniskluft gesehen hatte. Inzwischen trug Beth graue Anstaltskleidung mit einem nicht zu übersehenden Schriftzug auf dem Rücken. Ihre Großmutter hätte sich bei diesem Anblick garantiert im Grab umgedreht, doch Lauren hütete sich wohlweislich, dies ihrer Schwester gegenüber zu erwähnen.
Wozu sollte sie sie beunruhigen, wo sich Beth doch stets unermüdlich – und mit Erfolg – um die Anerkennung ihrer Großmutter bemüht hatte? Lauren hatte diesbezüglich keinerlei Anstrengungen mehr unternommen, seit sie als Teenager bei der alten Dame wegen ihrer Affäre mit Jason Corwin in Ungnade gefallen war. Sie hatte es nie bereut, obwohl sie sich damit Mary Perkins’ Zorn zugezogen hatte. Der Sommer mit Jason war es in ihren Augen mehr als wert gewesen.
Da Beth keine Schwierigkeiten machte, musste sie während der Besuche keine Handschellen tragen. Allerdings patrouillierten draußen vor dem Zimmer ständig Aufseher, und in regelmäßigen Abständen kam eine Krankenschwester herein.
»Tag, Beth«, sagte Lauren betont fröhlich. »Wie geht es dir heute?«
Keine Reaktion. Lauren hatte auch keine erwartet.
Beth starrte stur geradeaus, das Haar hing ihr ins Gesicht. Der einst perfekte, wenn auch etwas konservative Bob war längst herausgewachsen, ihre Frisur wirkte ungepflegt, die graue Kleidung ließ ihre Haut
noch blasser aussehen. Manchmal zog Lauren in Erwägung, ihrer Schwester einen Spiegel vorzuhalten; vielleicht würde der Schock sie ja aus ihrer Apathie reißen.
Sie räusperte sich, legte die Hände in den Schoß und versuchte, nicht nervös herumzuzappeln. »Weißt du noch, letzte Woche habe ich dir erzählt, dass ich in Grandma’s Haus ziehen werde. Am ersten Dezember läuft die Frist für die Renovierung ab, und so lange werde ich dort wohnen. «
Ihre Schwester
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