Mach doch - Roman
ihr der Lärm nichts auszumachen.«
»Ich schätze, ich sollte froh sein, dass sie überhaupt mal eine Reaktion zeigt.« Lauren erhob sich von ihrem Stuhl. »Was meinen Sie, ist das ein gutes Zeichen?«, fragte sie hoffnungsvoll. Würde sich der Zustand ihrer Schwester vielleicht bald ändern?
Wieder schüttelte die Krankenschwester den Kopf. »Das ist eher ein Reflex. Machen Sie sich lieber keine Hoffnungen«, erwiderte sie sanft.
Lauren seufzte und nahm wieder Platz.
Sie betrachtete ihre stumme Schwester. Beth hatte bis zur zerstörerischen letzten Konsequenz an den Corwin-Fluch geglaubt und einen hohen Preis dafür bezahlt. Lauren fragte sich, ob es das in den Augen ihrer Schwester wert gewesen war.
Der Corwin-Fluch.
Für Lauren waren die Legenden um den Fluch
lange nur Gutenachtgeschichten gewesen, die ihre Großmutter gern erzählte. Dass der Fluch auch dazu gedient hatte, die künftige Generation ihrer Familie mit einer ordentlichen Portion Selbstgefälligkeit auszustatten, war ihr erst später klargeworden.
Wenn man ihrer Großmutter glauben wollte, hatte die erste Mary Perkins, eine Ahnin aus der Zeit der Hexenprozesse in Salem, einen gewissen William Corwin und all seine männlichen Nachfahren verflucht, weil er ihrem Sohn die Verlobte ausgespannt hatte. Seitdem war jeder Corwin-Mann dazu verdammt gewesen, nicht nur die Frau seines Herzens, sondern auch sein Vermögen zu verlieren, sobald er sich verliebt hatte. Man konnte es Zufall nennen oder eine Verkettung tragischer Umstände; Tatsache war, dass sämtliche Männer der Familie Corwin vom Pech verfolgt zu sein schienen. Doch Jason Corwins Cousins hatten offenbar beschlossen, dem Fluch die Stirn zu bieten. Beide hatten kürzlich geheiratet, wie Lauren von ihrer Freundin Sharon gehört hatte.
Na, dann viel Erfolg, ihr zwei!, dachte Lauren.
Sie selbst hatte den Fluch stets als Ammenmärchen abgetan; schon damals, als sie mit siebzehn wie so oft die Ferien bei ihrer Großmutter verbracht und Jason kennengelernt hatte. Im Laufe jenes Sommers hatte sie sich in ihn verliebt und sich oft zu einem geheimen Tête-à-tête mit ihm fortgeschlichen. Dummerweise hatte ihre Großmutter davon Wind bekommen – sie hatte ihr Tagebuch gelesen, und da Mary Perkins im Gegensatz zu ihrer Enkelin fest an den Fluch glaubte,
hatte sie eine Schimpfkanonade vom Stapel gelassen, die Lauren wohl niemals vergessen würde. Lauren durfte Jason nicht wieder sehen und wurde stante pede zu ihren Eltern zurück nach Sierra Leone geschickt.
An jenem Tag hatte sie das Vertrauen und die Anerkennung ihrer Großmutter unwiederbringlich verspielt. Sie hatte allerdings auch nie große Anstrengungen unternommen, sich beides wieder zu erarbeiten. Dafür war sie viel zu wütend über ihre Verbannung gewesen.
Lauren hatte Jason nicht gleich aufgegeben. Sie hatte ihm einige Male geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Als sie ein Jahr später in die USA zurückgekehrt war, hatte sie feststellen müssen, dass Jason das Land verlassen hatte, um für die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu trainieren und seinen Traum von der Goldmedaille für seine Leistungen als Snowboarder zu verwirklichen.
Er hatte sich weder bei ihr gemeldet noch ihr eine Kontaktadresse hinterlassen, dabei hatten sie doch beide von einer gemeinsamen Zukunft geredet, hatten fest daran geglaubt, dass sie einen Weg finden würden, um eines Tages zusammen sein zu können. Lauren war am Boden zerstört gewesen, wie man es nur als Teenager ist, als ihr klarwurde, dass Jason der gemeinsame Sommer wohl nicht so viel bedeutet hatte wie ihr. Da er sie offenbar vergessen hatte, war sie nach New York aufgebrochen, um sich ihre eigenen Träume zu schaffen.
Lauren zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren und sich wieder auf ihre Schwester zu konzentrieren. Allzu oft konnte sie Beth vor ihrer Abreise nach Paris nicht mehr besuchen, deshalb galt es, die wenige gemeinsame Zeit, die ihnen noch blieb, bestmöglichst zu nutzen.
Sie nahm ihren Monolog wieder auf. »Na, jedenfalls, Großmutters Haus ist wie gesagt in einem sehr schlechten Zustand. Jemand hat die Fenster eingeschlagen … Wahrscheinlich Kinder, die sich einen Spaß daraus machen, das alte Gebäude mutwillig zu zerstören.« Oder jemand, der sich für das Feuer rächen wollte, das Beth gelegt hatte. Doch das behielt Lauren wohlweislich für sich. »Aber ich schaffe das mit links.«
Keine Reaktion.
Lauren sah sich um und hatte plötzlich das Gefühl, als würden
Weitere Kostenlose Bücher