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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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sie Anetkas sinnlosen Tod nie würden vergessen können.
    Morgen würden sie sich wieder hier versammeln, zu einer anderen Beerdigung, mit Musik und Leichenschmaus, wie es sich gehörte, wenn Mitro Jankura, der wichtigste Bauer im Dorf, ein Begräbnis ausrichtete. Heute sahen sie Andrejko zum letzten Mal, er hatte die Axt gegen einen Menschen erhoben, er hatte getötet. Und nur aus einem Grund hatten ihn gestern Nachmittag die Bullen nicht geholt: damit es dem alten Mitro erspart bliebe, Andrejkos Verletzungen und Anetkas Vergewaltigung und Tod zu erklären   … Vielleicht waren die Bullen aber auch von selbst auf diese Idee gekommen, vielleicht waren sie sich sicher, dass auch der kleine Zigeuner den Löffel abgegeben hatte, und sie wollten sich nun auf keinen Fall bei diesem nasskalten Wetter in die Siedlung schleppen. Denn hier in Poljana galten andere Gesetze, ein verletzter oder toter Zigeuner zählte nicht, die Ermittlungen wurden jedes Mal eingestellt; jeder Arzt war gerne bereit, den Totenschein umzuschreiben, weil auch Ärzte gerne trinken, außerdem brauchten sie die Leute aus dem Dorf, sie waren auf sie angewiesen, und letztlich waren auch sie nur Menschen   … Hier auf dem Land wusste jeder viel über den anderen, und daher hielten alle den Mund. Um nicht erklären zu müssen, woher sie den frischen Rehbraten hatten, wie sie an die geschmuggelten Zigaretten gekommen waren, um nicht darüber reden zu müssen, wer noch vor ein paar Jahren die Bibel und die Solidarność-Abzeichen über die Grenze geschmuggelt hatte und wessen Haus vom Geld angsterfüllter chassidischer Juden gebaut worden war, die bereit waren, jeden Preis zu zahlen; Hauptsache, man führte sie auf die andere Seite der Berge.
    Die Behörden waren zu weit weg von Poljana, und Gott, |324| der wohnte wiederum zu weit oben. Streitereien mit Amtspersonen zu vermeiden, Finanzbeamte anzulügen und auszutricksen, Ernte und Ware vor Gendarmen oder Soldaten zu verstecken, gehörte hier seit Menschengedenken zum Leben dazu. Und jeder wusste, dass sich auch morgen nichts daran ändern würde. Sobald Andrejko mit seiner kleinen Tochter verschwunden wäre, würde der Pfad zur Siedlung mit Gras zuwachsen, und wenn man im nächsten Frühling dorthin die Schafe zum Weiden triebe, würde alles aussehen wie früher. Sie wussten aber auch, dass sie für immer etwas verloren hatten, dass statt der kleinen Zigeunerfamilie nur Bitterkeit und ein rasch zusammengezimmertes Holzkreuz in einer Friedhofsecke zurückbleiben würden, ein Kreuz, das unter dem ersten Schnee verschwinden und im Frühjahr unter Brennnesseln kaum zu finden sein würde.
    Vielleicht pflanzt dort jemand einen Baum, das hatte man doch früher so gemacht, kam Mihalič in den Sinn, eine Linde oder eine Birke, um daran zu erinnern, dass nichts wieder so sein würde, wie es einmal gewesen war.
    Der Wind fuhr durch die kahlen Hagebuttensträucher, und auf der nassen Erde blieben ein paar blutrote Spindeln liegen.
     
    Als der Sarg in die Grube gelassen wurde, halfen sie Andrejko aufzustehen, mussten ihn aber weiterhin stützen. Eine Weile war kein Laut zu hören, keiner wusste, was zu tun und zu sagen wäre, bis jemand eine Handvoll Münzen aus der Tasche holte und sie in das offene Grab warf. Als Mihalič das sah, schüttete er sein Portemonnaie über dem Sarg aus, die anderen folgten ihm schweigend, und auf einmal regnete es Münzen und Banknoten in die Grube. Wie früher die Zigeuner gaben die Dörfler ihr Geld an die Tote weiter, damit sie |325| auf ihrer letzten Reise keine Not würde leiden müssen, und mit diesem Geld fiel auch ein Teil ihrer Last von ihnen ab, manche fühlten sich sogar ein kleines bisschen erleichtert.
    Da es so kalt und nass war, ein richtiges Hundewetter war das, holte jemand eine Schnapsflasche hervor. Die Männer nahmen wortlos einen Schluck und gossen dann ein paar Tropfen Schnaps auf die Erde, sie reichten die Flasche auch an Andrejko weiter, aber er sah und hörte nichts, mit erloschenen Augen starrte er die schweren Erdklumpen an, die donnernd auf den Sarg fielen, als hämmerte eine blanke Faust an ein schweres Eichentor, verzweifelt und bar jeder Hoffnung, dass es sich öffnen würde   …
    Nach der Beerdigung brachte man Andrejko in den Wohnwagen. Halb trug, halb schleppte man ihn und ließ ihn dort aufs Bett fallen, so dreckig und schlammverschmiert, wie er war, mit all den blauen Flecken und blutverkrusteten Wunden.
    Sobald er aufstehen konnte, verbrachte

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