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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Andrejko ganze Tage am Fenster, er heizte nicht, er machte nicht einmal Licht. Seine Verletzungen heilten allmählich, aber er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Als Mihalič und Paľo ihn zum Arzt bringen wollten, schrie er und schlug um sich. Er wäre lieber gestorben, als dass er sich hätte wegbringen lassen, er musste doch auf Anetka warten, um da zu sein, wenn sie endlich von ihrer sinnlosen Reise zurückkäme, in der Tür stünde und ihn mit ihren großen schwarzen Augen anlächelte   … Als er klein war, hätte man die alte Marika, die weise alte Frau und
stryga
, die einen Sud aus Heilkräutern kochen und aus der Hand lesen konnte, fast bei lebendigem Leib begraben, sie lag schon im Sarg, und alle weinten und rissen sich die Haare aus, und als sie den Deckel zumachen wollten, bemerkten sie, dass die Alte blinzelte, und als die Blumen und |326| das Geld, mit denen sie Marika überschüttet hatten, in Bewegung gerieten, da stoben alle wie eine Schar Spatzen auseinander, wenn man in die Hände klatscht   … Vielleicht, wenn er vom Friedhof alle Kerzen holen würde, die dort jetzt nach Allerheiligen standen, und sie alle zu Anetkas Grab bringen und anzünden würde, vielleicht fände sie wieder zu ihm zurück. In Prag hatten sie damals auch Kerzen vom Friedhof geklaut, den Toten das Licht genommen, weil die Lebenden mehr davon hatten, damit es den Lebenden auf ihrem Weg leuchtete   …
    Hätten ihn bloß die Gendarmen geholt, er hatte doch die Axt erhoben und einen Gadsche getötet, er hatte gegen das Gesetz verstoßen, so etwas verzieh man doch nicht, ähnlich wie man Hunde und Pferde nie ungestraft ließ. Eine stumme Kreatur konnte jeder mit Stock und Peitsche zurechtweisen, aber wehe einem kleinen Hund, wenn er ein einziges Mal zurückbiss, wehe einem Pferd, das ausschlug und seinen Herrn verletzte, die verarbeitete man gleich zu Würstchen   – und wehe einem Zigeuner, der mit einem Messer auf einen Gadsche losgeht, wehe, dreimal wehe ihm   …
    Doch es verging ein Tag nach dem anderen, und die Erlösung kam und kam nicht, weder die Gendarmen noch Anetka zeigten sich. Nur die Nacht hatte Mitleid, da erschien ihm immer wieder Anetka, ganz in weiß gekleidet wie eine Braut, zart und durchsichtig, mit ihren großen schwarzen Augen, dem gewölbten Bauch und einem Kind auf dem Arm, und Andrejko schrie und streckte die Arme nach ihr aus, aber jedes Mal löste sich Anetkas weißer Schleier wie Morgennebel auf. Eines Tages setzte er sich nicht mehr ans Fenster, er blieb einfach im Bett liegen, auf dem Kissen, das immer noch nach ihren Haaren duftete, unter der Bettdecke mit den eingetrockneten Blutflecken. Andrejko starrte an die Decke, |327| und in seinem Kopf wüteten rasende Schmiede, schwere Eisenbahnzüge fuhren dort hin und her, und er sah nur noch einen einzigen Weg vor sich, den, den auch seine Anetka genommen hatte. Von diesem Weg hätte ihn keiner mehr abgebracht, wäre da nicht die kleine Darja gewesen.
    Als man die Kleine zu ihm brachte, erkannte sie ihn nicht. Dieses abgemagerte, bärtige und ungewaschene Wrack unter der schmierigen Bettdecke hatte mit ihrem Papa nichts gemein. Seine glanzlosen Augen und die knochigen Arme, in die man sie gelegt hatte, jagten ihr Angst ein, sie fing an zu weinen und wand sich aus seiner Umarmung. Die ganze Nacht schrie sie im Schlaf und weinte, Marika musste sie mit ins Bett nehmen und ihr Händchen halten, sie streicheln und trösten, dass alles wieder gut werde   …
    Nach Darjas Besuch bohrte Andrejko den Kopf ins Kissen, und seine müden und erloschenen Augen füllten sich erstmals mit Tränen.
    Am nächsten Morgen sah Mihalič schon von der Tür aus, dass das Essen, das er am Nachmittag zuvor auf den Tisch gelegt hatte, verschwunden war. Andrejko schlief und der Förster wollte ihn nicht wecken, er stellte ihm eine neue Tüte mit Essen hin, schob sich die Pelzmütze zurecht und machte sich leise aus dem Staub. Als er nachmittags erneut vorbeikam, sah er über den nackten Birkenzweigen einen dünnen Streifen Rauch in den Himmel steigen. Andrejko saß auf einem Hocker vor dem Ofen und legte Holz nach, das Feuer leckte mit gieriger Flammenzunge die brennenden Scheite ab und spiegelte sich in seinen Augen. Und dieser Funke, der ihn am Leben hielt, dieses Flackern, dieses Lebenslicht hieß Darja, sie war sein kleines Mädchen, ihm von Anetka anvertraut, damit er sie rettete, damit er sie von hier wegbrachte   …
    Ein paar Tage später rollte er das

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