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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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geteilt   … Die Essensreste warf man weg, selbst wenn man daraus eine letzte Mahlzeit hätte zubereiten können   – ein Dunka würde niemals ein kalt gewordenes Mittagessen oder das Nachtmahl vom Vortag verzehren   … Es war undenkbar, einem Gast die Tür zu weisen, oder lächelnd anzumerken, dass ein Gast einem Fisch gleiche, der auch nicht lange frisch bleibe; ein Gast war nicht nur Gott im Haus, sondern noch viel mehr, und Štefan ließ seine eigenen Kinder auf dem Boden schlafen, nur damit jeder, der den langen Weg zu ihm gewagt hatte, bequem sein Haupt betten konnte.
    Die Poljaner vertranken das Geld, das sie aus der Slowakei mitgebracht hatten, gemeinsam mit Štefan, sie spielten, sangen, schrien und tanzten, aber nicht wie die Gadsche, in zugeknöpften Kleidern und mit Schritten aus der Tanzschule. Jeder tanzte so, wie es ihn gerade überkam, wie es aus ihm heraussprudelte, der eine saß nur da und wischte sich die Tränen fort, der andere stampfte im Rhythmus oder wankte wie ein trunkener Bär durchs Zimmer, aber für jeden von ihnen schienen diese Minute und diese Stunde die wichtigste in ihrem Leben zu sein, sie tanzten mit über den Kopf erhobenen Armen und ihre Augen leuchteten, die Frauen wirbelten |49| herum und ließen ihre Röcke hochfliegen, die Männer rissen sich die Hemden vom Leib, das weiße Festtagshemd oder das alte feuerrote mit den Puffärmeln, weil auch ihre Seelen wund waren   …
    Alle klatschten in dem unregelmäßigen Rhythmus oder stampften auf den Boden, auf die ausgetretenen Holzdielen, die glatt poliert waren von den schlurfenden Schritten der einstigen Mieter, Näherinnen aus Žižkov, kleiner Beamter und Arbeiter, die sich jeden Morgen mit einem Butterbrot und einer Blechkanne Ersatzkaffee hinaus in die Dämmerung geschleppt hatten   …
    Die Feste zogen sich stets über mehrere Tage hin, als feierten die Dunkas eine einzige Riesenhochzeit, immer wieder wachte nachts einer auf und wankte hinaus auf die Pawlatsche, um über das Geländer zu pinkeln oder sich zu übergeben, und dann holte er Luft und fing an zu singen, zu weinen oder zu schreien, aus purer Feude am Leben oder um sich Erleichterung zu verschaffen, damit der glühende Kessel in seinem Inneren nicht explodierte.
    Joj mamo, joj mamo, bokhaľi som   …
Heisere Zigeunerstimmen hallten weit in den verschlafenen Morgen hinein; diejenigen, die abends unter dem Tisch gelandet waren, wachten auf und suchten nach einer neuen Flasche oder nach einem Glas mit eingelegten Gurken, damit der verdammte Kopf nicht mehr so schmerzte, während ein paar Meter weiter die erste Straßenbahn mit halb schlafenden Fahrgästen vorbeiratterte, mit den dummen Gadsche, die auf die Uhr schielten, ob sie es auch heute rechtzeitig ans andere Ende der Stadt schaffen würden, vor die Tore der Motorlet-Fabrik in Jinonice oder der Tatra-Werke in Smíchov, ob sie auch heute wohlbehalten vor Schichtbeginn ihre Stechuhr, ihre Drehbank oder Fräsmaschine erreichen würden.
    |50| Und abends, wenn die Gadsche aus ihren Büros, Läden und Fabriken zurückkamen und müde vor dem Fernseher in den Sessel sanken, da waren die Dunkas immer noch dabei, zu schreien, zu weinen und sich zu freuen   …
     
    Zwischen den Familien gab es aber auch Krach. Und so blieben nur die Dunkas bei Štefan in Prag, die anderen, die Kotlárs und Lakatoš, zogen nach ein paar Tagen weiter gen Norden, nach Ústí und nach Most, weil man dort ganz neue Wohnungen bekam, einzig gegen eine krakelige Unterschrift oder drei Kreuzchen unter einem Arbeitsvertrag mit dem Berg- oder Chemiewerk. Die Häuser wurden von ihren weißen Landsleuten aus Humenné oder Michalovce gebaut, die Betonplatten wurden quer durch die ganze Republik geliefert, und aus diesen Platten wurden ganze Städte errichtet, tapezierte Käfige mit Wassertoiletten.
    Für Menschen, die mit Sonne, Sternen und Schlamm großgeworden waren, für die waren Strom und sauberes Leitungswasser nicht alles. Denn die Wärme in den Rohren sah man nicht, Feuer aus herausgerissenen Parkettstücken oder zerhackten Türen war etwas ganz anderes, das Leben begann erst mit den Flammenzungen und mit der Hitze, die sich zwischen den Handflächen ausbreitete   … Ein Essen, das in einer engen Küche zubereitet wurde, konnte keinem Menschen schmecken, der an verrußte Kessel gewöhnt war, an den Geruch von anbrennendem Fett oder von Hühnern, die auf offenem Feuer samt Gefieder zubereitet wurden; ein solches Essen konnte keine

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