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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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sie ihr Glück in Libeň, dann in Vinohrady und in Nusle, wo man sie noch nicht kannte. Aber einmal hatte sie Pech, die Verkäuferin ließ sich nicht für dumm verkaufen, sie beteuerte, an diesem Tag noch keinen Hunderter bekommen zu haben, sie stritt sich mit der Tante und auch mit dem Herrn hinter ihr, der behauptete, dass er den Schein mit eigenen Augen gesehen hätte, auch mit den ungeduldigen Kunden legte sie sich an, sie möchten bitte so freundlich sein und entschuldigen, aber dies müsse geklärt werden. Hinten im Laden hörte das ihr Chef, er griff zum Telefon, und die Polizei ließ sich nicht einschüchtern, sondern setzte mit Ida ein Protokoll auf, und als immer mehr Verkäuferinnen sie auf dem Foto wiedererkannten, |77| sah es für die Tante schlecht aus. Dass sie nicht ins Gefängnis kam, hatte sie einzig und allein ihren Kindern zu verdanken; während der Gerichtsverhandlung zerflossen Jolanka und die kleine Anetka in Tränen und wischten sich ständig ihre Nasen am Ärmel ab, bis es die Richterin nicht mehr aushalten konnte und die Tante auf Bewährung nach Hause schickte. Ihr Urteil machte Ida trotzdem ganz wütend, beim Nachhausegehen blieb sie immer wieder stehen, drehte sich um und drohte mit der Faust. Noch lange beklagte sie sich über das Unrecht und die polizeiliche Willkür.
    Denn vor Gericht hatte Ida nicht die Unwahrheit gesagt, sie glaubte wirklich, mit einem Hunderter gezahlt zu haben. Alles, was einem Vorteil oder Nutzen bringen konnte, das war richtig, und das stimmte dann auch   … Wenn sich Štefan beim Arzt vor Schmerzen krümmte, um zu zeigen, dass er den morgigen Tag nicht mehr erleben würde, wurde er im gleichen Moment von echten Rückenschmerzen heimgesucht, so dass es die ganze Nacht in seinem Kreuz knackte, bis zum Morgengrauen.
    Eines Tages flog in das Schaufenster des Feinkostladens, in dem man die Tante geschnappt hatte, ein halber Ziegelstein. Keiner wusste warum, denn es war nichts weggekommen   …
     
    Die Dunkas wollten niemandem etwas zuleide tun, sie wollten nur leben. So wie sie es seit Jahrhunderten gewohnt waren, ohne sich an den gestrigen Tag zu erinnern oder über das Morgen zu grübeln. Sie lebten Tausende von Leben, denn sie wurden jeden Tag neu geboren und sie starben jeden Tag aufs Neue. Was sie am Vormittag verdient hatten, das war bis zum Abend ausgegeben, was sie am Vortag verloren hatten, daran dachten sie heute nicht mehr. Es machte ihnen nichts aus, wenn man ihnen nichts mehr ausschenken wollte oder |78| wenn sie im Voraus zahlen mussten, das waren sie gewohnt, aber wenn man sie zweimal auf Ehrenwort anschreiben ließ und beim dritten Mal wegjagte, fingen sie an zu krakeelen, und im Laden wimmelte es gleich von ihren Leuten, manchmal zückten sie sogar das Rasiermesser oder nahmen sich die Ware aus dem Regal und gingen ohne zu zahlen heim, nicht mal die Tür schlossen sie hinter sich, und die verblüffte Verkäuferin hörte sie auf der Straße schreien, was für eine blöde Kuh sie sei, eine miese Schlampe, gestern noch hätte sie gegeben und heute nicht mehr   …
    Anglal ma ďives, palal ma šišitno,
vor mir Licht, hinter mir Dunkelheit   … als hätte es das Gestern nicht gegeben. Wenn sie auf dem Dachboden die Balken zersägten, die Regenrinnen abrissen und das Blechdach über dem eigenen Kopf auftrennten, dachte keiner daran, dass es vor einer Woche geregnet hatte und dass es vielleicht bald wieder regnen könnte.
    Und so wechselten sich bei ihnen strahlende Tage, an denen sich die Tische unter Unmengen von Essen und Trinken bogen, mit dunklen Tagen und Wochen ab, in denen sie vor Kälte schlotterten, alle Ecken nach den letzten Krümeln absuchten und in erster Linie damit beschäftigt waren, ihr Magenknurren zu überhören. Es gab Tage und Nächte, an denen sie mit geöffneten Herzen und über den Kopf erhobenen Armen sangen und tanzten, dass man damit Tote zum Leben hätte wiedererwecken können, und es gab Tage, an denen die Erwachsenen ihre Messer zückten und die verängstigten Kinder Zuflucht unter dem Bett oder dem Tisch suchten. Es gab Tage, an denen sie ihr letztes Hemd zerrissen hätten, um es mit den anderen zu teilen, und es gab jene Tage, an denen sie sich lieber auf die Straße retteten, weil sie sich zu Hause gegenseitig umgebracht hätten vor lauter Überdruss und schlechter Laune.
    |79| Die älteren Cousins mochten Andrejko nicht, weil er fast täglich für die Kleinen ein Spielzeug oder Süßigkeiten mitbrachte, geklaut

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