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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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dem Zigeunerrücken tanzten, die Feuerzungen, die die Dächer ihrer Hütten ableckten, und die Äxte, die die Holzräder ihrer Pritschenwagen klein schlugen. Die uralte Angst vor Rache und Vergeltung, die vom Vater an den Sohn weitergereicht wird, saß ihnen im Nacken, eine Angst, die sie würgte, als wären sie gehetzte Tiere.
    Aber Prag war groß. Die Vergeltung kam nicht. Allmählich gewöhnten sie sich daran, sie liefen jedoch weiterhin geduckt und blickten immer wieder über die Schulter, die schleichende Angst vor dem morgigen Tag ließ sie nicht mehr los.
     
    An einem Morgen im Herbst war der alte Pferdehändler Laco nicht mehr wach zu bekommen, dieser dürre und gebeugte alte Mann mit dem grauen Haar und den tiefen Falten im Gesicht. Sie setzten ihn also an den Tisch, als Ersatz |82| für ein Halfter legten sie ihm einen Strick in die Hand, und plötzlich fühlte sich jeder dem anderen wieder nah. Gemeinsam saßen sie um den Tisch, gemeinsam hielten sie drei Tage und drei Nächte Wache bei Laco, sie waren ganz leise, keiner sang, keiner lachte, sie füllten sich und den starren Toten mit Schnaps ab, auf dass er gut vorankomme auf seinem letzten Weg, und entsprechend einem alten Brauch gossen sie jedes Mal ein paar Tropfen auf den Boden, um die Erde, der Laco anvertraut werden sollte, versöhnlich zu stimmen   … Als sie im Sarg seine steifen Knie durchdrücken wollten, schnellte Lacos Oberkörper mit den gekreuzten Armen in die Höhe, als hätte der Alte ihnen noch etwas sagen wollen, bevor der Sargdeckel über ihm zugenagelt würde, und sie rannten alle auseinander, und noch tagelang lief es ihnen kalt den Rücken herunter und ihre Zähne klapperten wie ein Holzkarren auf dem harten städtischen Straßenpflaster.
    Alle spürten, dass der Abschied vom alten Laco auch den endgültigen Abschied von den alten Zeiten der Mitternachtsfeuer bedeutete, das Ende der Zeiten der wilden Pferde und der nackten, durch den Schlamm stapfenden Füße einläutete, der Zeiten der Holzräder, unter denen die Erde nach hinten lief, es war ein Abschied von wundersamen Nächten, in denen die Sterne vom Himmel fielen, von Nächten voller Licht, wenn der Mond wie ein Laib Käse über den Himmel zog und in den alten Hainen Zauberkräuter blühten, und ein Abschied von den gewöhnlichen schwarzen Nächten, wenn sich die Dunkelheit über die Kohl- und Kartoffelfelder der Gadsche legte   …
    Durch die Tür, von Miro einen Spaltbreit geöffnet und von Marián und Imro mit einem Fußtritt aufgestoßen, drängte eine neue, rücksichtslose Welt hinein, die Welt der Springmesser, Pflastersteine und malträtierten Rentner, eine Welt, |83| in der kein Platz mehr übrig blieb für langes und bedächtiges Paffen auf der Türschwelle, fürs Handlesen und sehnsüchtiges Schluchzen unter dem leuchtenden Sternenhimmel. Ohne Vorwarnung hielt bei den Dunkas eine Welt Einzug, die ihnen niemand erklärt hatte.
     
    Sobald sie den alten Laco auf den Olšaner Friedhof gebracht hatten, setzten sich die Mühlen Gottes in Bewegung. Die Straße unter ihren Fenstern begann im Schein blauer Lichter zu pulsieren, und auf die Pawlatschen stürmten schwarz gekleidete Männer, die Polizei trat die Türen ein, zerrte die erschrockenen Dunkas aus den Betten und führte sie ab, auch Onkel Štefan und seine Söhne mussten mit. Das Ganze spielte sich innerhalb weniger Minuten ab, die verschlafenen Dunkas duckten sich in ihren Betten, blinzelten ins grelle Licht und zitterten wie Küken, wenn ein Wiesel in den Hühnerstall schlüpft   … Und als am nächsten Morgen die Bullen erneut das Haus durchkämmten und auch noch den hinkenden Andrejko mitnahmen, krochen Milan und Anetka zu Jolanka ins Bett, in die warme Mulde, die dort ihr Brüderchen zurückgelassen hatte, und sie schmiegten sich aneinander, verwirrt und schaudernd angesichts dessen, was noch kommen sollte.
    Andrejko ballte wütend die Hände zu Fäusten, weil seine Cousins alles auf ihn abgewälzt hatten, all ihre Raubüberfälle und Autoeinbrüche, an denen er keine Schuld trug. Er saß allein in einer kleinen Zelle mit einer Blechtür ohne Klinke und einem winzigen Gitterfenster dicht unter der Decke, eine schwache Glühbirne flackerte über seinem Kopf, und ein Eimer mit Urin stank in der Ecke. Immer wieder brachte man ihn zum Verhör, aber man bekam kein einziges Wort aus ihm heraus. Schließlich tauchte eine dicke und stark geschminkte |84| Frau auf, sie schnaufte und rang nach Luft, dann fing sie

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