Mach mal Feuer, Kleine - Roman
geflüchtet war, darauf sind weder der Onkel noch die Bullen gekommen.
Da Štefan seine Wut nicht an Andrejko auslassen konnte, wurde er nervös, er machte Fehler, und bald wanderte er mit seinen beiden Söhnen in den Knast.
Kurz darauf entgleiste in Libeň ein Personenzug. Die Prager kamen in Scharen, um die abgestürzten Waggons zu begaffen, diskutierten die Höhe der Böschung und die Zahl der Toten, und da erinnerten sich die Lokführer an Kinder, die häufig oberhalb der Gleise gehockt und ausprobiert hatten, welche Steine das Gewicht eines Zuges aushalten. Den Dunkas, die kurz zuvor an der Bahnsignalanlage die Isolierung von den Kabeln heruntergeschält hatten, wurde der Boden unter den Füßen zu heiß. Sie warteten nicht lange, packten ihre Kochtöpfe und Bettdecken ein und zogen zum Bahnhof.
Andrejko erzählte, wie er über das Gerüst ins Haus gelangt war und zweimal dort übernachtet hatte, er berichtete auch von den Baggern und Bulldozern, die in Žižkov ganze Straßenzüge wegrissen, und in Idas Augen glitzerten Tränen, weil auch sie in diesem Viertel einen Teil ihres Lebens zurückgelassen hatte, aber sie winkte gleich ab und meinte, um Häuser sei es nie schade, nur um gute Menschen solle man trauern … Unsereins soll da leben, wo es gut für ihn ist, sagte sie und warf die Arme auseinander, als wollte sie zeigen, dass ihr Zuhause aus keinem verwohnten Mietshaus bestand, sondern aus ihren Kindern, ihrer Schwester Majka und auch aus ihm, dem kleinen |137| Andrejko, das war ihr wahres Zuhause, so ist es immer gewesen … und Ida erzählte, wohin es die anderen Dunkas aus Prag verschlagen hatte. Sie waren wie Vögel, die das Nest verlassen, seufzte sie, viele seien nach Norden gezogen, nach Ústí oder nach Most, sie selbst sei ja zu ihrer Schwester gegangen, andere hätten nicht mal Pilsen erreicht, sondern seien gleich in Rokycany aus dem Zug gestiegen und dort geblieben … Zurück in den Osten, wie es Andrejko gemacht hatte, zurück in die ärmliche Siedlung mit Wasser aus dem Bach und Kartoffelsäcken in den Fenstern statt Scheiben – in den ständigen Schlamm und Dreck ist keiner zurückgekehrt.
Und die Tante klagte, dass die Familie in Stücke zersprungen sei wie ein Spiegel, den Gott in einem schwachen Moment zu Boden hatte fallen lassen und dessen Splitter nun über die ganze Welt verteilt waren. Was können wir dafür, dass wir wie diese Splitter sind, sagte sie langsam, was können wir dafür, dass wir schwarz sind … Die Erde gehört nicht nur den Weißen, Er, Ida deutete zur Decke, Er hat sie für alle gesegnet, wie die Luft … und den Himmel … Sie ist doch groß genug für uns alle … warum jagt man uns wie räudige Hunde aus dem Haus, warum dürfen die Gadsche wohnen bleiben … Was sind das für Gesetze, wenn unsere Kinder eingesperrt werden und die weißen weiterhin auf der Straße herumlaufen können, die Gadsche kaufen sich Häuser und Autos am laufenden Band und wir hocken hier. Das sind nicht unsere Gesetze, das sind ihre Gesetze … Die Tante spuckte auf den Boden. Na ja … Eine Wohnung haben sie weggenommen, da müssen sie eine neue geben, sie gestikulierte wild und redete weiter, regte sich immer wieder aufs Neue auf und merkte nicht einmal, dass Andrejko nicht mehr zuhörte, weil er eingeschlafen war.
Noch bevor sie sich ins Bett legte, nahm sie seine Hand |138| und fuhr mit dem Finger über seine Handfläche. Das hätte ich mir denken können, sagte sie schließlich und stand auf, aber es wollte ihr keine Ruhe lassen, und sie setzte sich wieder zu ihm und versuchte die Linien zu glätten und gerade zu biegen, doch es gelang ihr nicht. Sie seufzte, ließ seine Hand fallen und löschte das Licht.
Andrejkos Lebenslinien verliefen zickzackförmig, und in der Mitte der Hand kreuzten sie sich …
Als Andrejko morgens die Augen aufschlug, sah er sich suchend nach Jolanka um.
Wo soll die schon sein, sagte Ida kurz angebunden, sie ist doch schon groß.
Wo ist sie?
Ida schwieg, aber Andrejko ließ nicht locker:
Wo ist Jolanka?
Na, wo … bei Miro.
Bei Miro … heißt das …?
Ja … Schrei doch nicht so, Majka schläft im Nebenzimmer, sie hatte Nachtschicht. Die Tante zeigte zur Tür und drehte ihm den Rücken zu.
Andrejko schwieg, starrte zu Boden und schluckte seine Tränen herunter. Jolanka, seine Lieblingscousine,
mirori pheňori
, sein Schwesterchen, sie war weg … Sie war wie eine ältere Schwester,
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