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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Schnürsenkel   … Irgendwer schien hier zu wohnen. Der Alte   … Oder noch jemand?
    Wo sind meine Leute?, fragte er schnell, aber der Alte zuckte nur mit den Schultern. Sie blickten sich kurz an, der alte Stadtstreicher in seinem Lodenmantel und der Zigeunerjunge in seinem ausgeleierten Pullover, beide ohne ein Gestern, beide ohne ein Morgen.
    Der Alte machte es sich neben Andrejko bequem. Ich hab was mitgebracht, sagte er, und erst jetzt bemerkte Andrejko das zerrissene Einkaufsnetz in seiner Hand, Äpfel und Hörnchen waren drin, Andrejko lief das Wasser im Munde zusammen. |131| Er war auch schon wieder hungrig   … Der Alte erhob sich, fischte zwei Flaschen Bier aus der Manteltasche und öffnete sie am Türrahmen, die eine Flasche nahm er selbst, die andere reichte er Andrejko. Der Kleine mochte den bitteren Geschmack nicht, aber er hatte Durst, und so trank er Schluck für Schluck und verzog das Gesicht dabei, und schon saßen sie wieder nebeneinander und schwiegen, jeder mit seiner Flasche, den Blick starr auf den Boden geheftet.
    Die Kerze wird er vom Friedhof geholt haben, dachte Andrejko beim Anblick der kleinen Schale mit den Wachsresten zu seinen Füßen, und dann fiel ihm ein, wie sie als kleine Jungs immer Kerzen geholt hatten, zu Allerheiligen wurde es schnell dunkel, und auf dem Olšaner Friedhof blinkten Tausende von Lichtern, die kleinen Dunkas löschten sie und brachten sie taschenweise nach Hause. Wer Angst hatte, über die Mauer zu klettern und zwischen die mit Efeu bewachsenen Grabsteine zu springen, den verspottete man, der war ein Feigling   … Die Kerzen kamen ihnen gut zupass. Štefan fand es nämlich schade, für Strom zu bezahlen, wenn man ihn umsonst im Treppenhaus anzapfen konnte, aber manchmal stellte das Elektrizitätswerk den Strom ab, und bis der Onkel eine andere Quelle fand, behalf man sich mit den Friedhofskerzen.
    Man nahm den Toten das Licht, auf dass die Lebenden etwas davon hatten.
     
    Ich komme über den Hinterhof rein, sagte der Alte nach einer Weile, aber gestern hat man zu früh abgesperrt   … Ich schlafe jetzt ein bisschen, ja? Er lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Andrejko stellte die Bierflasche auf den Boden und lief in den Innenhof, kletterte über den Müllhaufen bis zum Zaun, sprang auf die andere Seite und |132| gelangte durch das Nachbarhaus auf die Straße hinaus. Und schon rannte er wieder durch Žižkov, bis zum Park Židovské Pece unterhalb von Parukářka, dort wurden ganze Straßenzüge mit alten Häusern abgerissen, rußgeschwärzte Balken und Mauern mit ausgeschlagenen Fenstern fielen in sich zusammen, riesige Schutthalden bildeten sich, überall hingen Wolken aus Staub und Asche von aufgerissenen, alten Schornsteinen in der Luft, die Feuerwehr musste Wasser über die Abrissstelle spritzen. Bulldozer vollführten auf den Ruinen alter Häuser mit ausgeblichenen Schildern längst eingegangener Gewerbe einen Freudentanz. Einst hatte es hier einen Schornsteinfegerbetrieb gegeben, verschiedene Gemischtwarenläden und Speditionen, auch Spelunken und Tanzlokale im Souterrain, nun breitete sich hier eine leere Fläche aus   …
    Andrejko war der Verzweiflung nahe und hätte beinahe aufgegeben, als ihm der Gedanke kam, sein Glück in den Nachbarhäusern zu probieren. Anfangs war ihm angst und bange, die Leute öffneten die Tür nur einen Spaltbreit, manche schlugen sie sogar gleich zu, aber schließlich fand er heraus, dass im letzten Herbst alle aus dem Haus fortgezogen waren, vermutlich nach Pilsen. Die nicht weit von Prag gelegene Stadt wurde zu seiner einzigen Spur, zu einem einsamen Licht, das in der Dunkelheit leuchtete: Dort musste er hin.
    ***
    Andrejko stieg aus dem Zug und überlegte noch, welche Richtung er einschlagen sollte, als ihm eine Frau mit einem Haufen Kinder auffiel. Seine Leute   … Er hatte sie bereits in Rokycany in den Zug steigen sehen, jetzt gingen sie langsam auf den Ausgang zu, und Andrejko folgte ihnen in der |133| Hoffnung, sie würden ihm den Weg zu Ida weisen. Die Frau hatte es nicht weit. Vom Bahnhof folgte sie den Straßenbahnschienen, passierte ein paar Häuserblocks und verschwand in einem Torbogen, der zu einem Hof oder zu einer Werkstatt führte. Andrejko war wieder allein.
    Petrohrad, so hieß das Viertel, ähnelte Žižkov. Quer über die Straße waren Drähte gespannt, von denen die Straßenbeleuchtung herabhing, die Gehsteige waren mit Steinplatten gepflastert, und aus den Kneipen quollen

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