Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Lärm, Gesang und das Klirren von Halblitergläsern. Ein Kinderwagen mit einem plärrenden Baby stand vor einer Haustür, eine alte Frau schleppte schwere Einkaufstaschen, um die Mülltonnen schnüffelten Hunde herum. Nur waren hier die Häuser niedriger, und sie hatten auch keine so reich verzierten Fassaden und Simse, Fenster und Erker wie die Mietshäuser in Žižkov. Davon abgesehen sahen sie genauso dreckig und heruntergekommen aus. Vor einem Kino saßen kichernde junge Mädchen auf dem Metallgeländer, und die Kinder, die hier Fangen spielten, waren ebensolche Rabauken wie einst er, Andrejko, bevor man ihn nach Kostelec gebracht hatte.
Die Dämmerung brach herein, in den ersten Fenstern wurde es hell, die Straßenlaternen gingen an, das Leben verlagerte sich von der Straße ins Innere der Häuser. Andrejko lief ziellos umher, lugte in Fenster, Türen und Durchgänge hinein, lauschte dem Geschrei der Kinder und den Gesprächsfetzen der Erwachsenen und spürte, wie Ratlosigkeit und Angst in ihm die Oberhand gewannen. Schon wieder allein, schon wieder einsam in einer fremden Stadt – wenn er auch hier niemanden finden würde, was dann? Am liebsten hätte er geschrien und gerufen, aber er wusste nicht, wo er anklopfen, wo er um Rat und Hilfe bitten sollte …
Als er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und |134| anfing, an den Klinken zu rütteln, um zu sehen, ob ihm vielleicht eine aus Versehen offen gebliebene Tür den Weg in einen Innenhof freigab, in dem er bis zum Morgen bleiben könnte, als seine Füße schon wieder Richtung Bahnhof laufen wollten, erblickte er vor sich auf dem Gehsteig ein Grüppchen älterer Frauen, und schon von Weitem erkannte er Tante Ida.
Die Frauen rempelten sich an, ab und an geriet eine ins Wanken, die Tante stand in der Mitte und versuchte gerade, die anderen für sich einzunehmen, als sie plötzlich einen kleinen schmuddeligen Jungen mit einem Geigenfutteral unter dem Arm bemerkte, der neben ihnen stehen geblieben war. Sie unterbrach ihren Redefluss und überlegte, woher sie ihn kannte, weil sie an Andrejko, von dem sie seit zwei Jahren nichts gehört hatte, zunächst gar nicht dachte … Und dann ging ihr endlich ein Licht auf, sie beugte sich zu ihm, nahm seinen Kopf zwischen die Hände und musterte ihn von allen Seiten, als traute sie ihren eigenen Augen nicht, und dann drückte sie ihn an sich und begann leise zu weinen, weil sie von Jammer und Schmerz überwältigt wurde … Die anderen Frauen hörten auf zu streiten, schweigend betrachteten sie die weinende Ida und den schmuddeligen, aus dem Nichts aufgetauchten Jungen in seinem ausgeleierten Pullover. Auf einmal brachten sie kein Wort mehr heraus.
|135| 11.
Ida wohnte bei ihrer Schwester Majka, zusammen mit Milan, Anetka und ihrem jüngsten Sohn Tibor, der zur Welt gekommen war, als Andrejko bereits in Kostelec war. Onkel Štefan hatte man noch in Prag eingebuchtet, auch Marián und Imro saßen im Knast. Die armen Burschen, seufzte die Tante, als sie einen großen Topf, in dem sie sonst die Wäsche wusch, mit Badewasser für Andrejko auf den Herd stellte, so jung und schon so viel Ungerechtigkeit haben sie erleben, schon so viele Schläge einstecken müssen …
Andrejko plantschte im warmen Wasser, er war glücklich, endlich wieder bei seinen Leuten zu sein, und vermisste weder den Onkel noch die Cousins. Die kleine Anetka mit ihren riesigen Kulleraugen lugte immer wieder zur Tür hinein, und er versuchte, sie mit Wasserspritzern zu verjagen. Als er dann noch eine heiße Suppe bekam und sich mollige Wärme in ihm ausbreitete, begann er vom alten Juraj zu erzählen, und wieder gerieten ihm alle Sprachen durcheinander: Tschechisch und Slowakisch, Ruthenisch und Romani … Die Tante wischte sich die Augen, herzte ihn und versprach, dass alles wieder gut werde, so wie früher. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wie sie ihn am Hauptbahnhof hinter sich hergeschleift hatte mit einem leeren Pappbecher in der Hand, wie Štefan und sie ihn zum
tschoro -Drehen
geschickt hatten, sie erinnerte sich nicht mehr daran, dass sie keine Zeit gefunden hatte, ihn wenigstens |136| ein einziges Mal in der Anstalt zu besuchen, und dass schließlich Štefan hingefahren war, weil er herausfand, dass er ausgerechnet wegen Andrejko seine Invalidenrente verloren hatte, samt der Wohnung, in der sie alle so schön und zufrieden lebten … Zum Glück war Andrejko da schon beim alten Juraj; dass er bis in die Ostslowakei
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