Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
Vom Netzwerk:
sehen.
    Der Vorsitzende war immer weniger geneigt, ein Urteil zu fällen, und ordnete laufend neue Gutachten und Untersuchungen an. Aber schließlich musste er zu einer Entscheidung kommen, also erhoben sich eines Tages alle, und der weiße Löwe auf dem Staatswappen machte sich bereit zum Sprung, um das Urteil im Namen der Republik zu verkünden: Andrejko wurde für unzurechnungsfähig erklärt und in eine Anstalt eingewiesen, damit er seine Umgebung und die sozialistische Gesellschaft nicht mehr gefährde. Es war vollbracht   … Andrejkos Verteidiger setzte sich erleichtert, einen besseren Ausgang hätte er sich nicht wünschen können, der Staatsanwalt sprang zwar im Dreieck, winkte dann aber ab und gab zu Protokoll, auf die Möglichkeit, in Berufung zu gehen, zu verzichten, damit er die Sache endlich vom Hals hatte.
    Einige Tage später wurde Andrejko aus dem Pilsener Gefängnis in die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Klinik in Dobřany verlegt.
     
    Man brachte ihn dort in einer Isolierzelle unter. Sie war gerade frei geworden, ein Käfig, der wie ein riesiges Kinderbett aussah, und bevor man diesen merkwürdigen Laufstall verriegelte, stopfte man Andrejko mit Tabletten voll. In der Nacht wachte er auf, benommen lag er da, starrte durch die |206| Metallstäbe auf die gegenüberliegende Wand und hoffte auf ein Wunder, darauf, dass jemand kommen und die blinkende Neonröhre an der Decke ausschalten oder mit ihm reden würde, aber erst am Morgen kam eine Krankenschwester, sie brachte sein Frühstück und Medikamente, aber auch sie sagte kein Wort, sie kontrollierte nur, ob er seine Tabletten ordnungsgemäß hinuntergeschluckt hatte   …
    Tage vergingen, keiner sprach mit ihm, keiner berührte ihn, draußen wurde es hell und wieder dunkel, nur die Neonröhre unter der Zimmerdecke flackerte unablässig, und die Zeit wurde in Tabletten gemessen, morgens zwei blaue und eine grüne, mittags wieder zwei blaue und abends noch eine große rosa Pille dazu, sie mussten sofort hinuntergeschluckt werden, noch ein Schluck Wasser hinterher und dann die Zunge rausstrecken, damit man sicher sein konnte, dass unter ihr keine Pillen verborgen lagen. Im ganzen Haus herrschte absolute Stille, die nur ab und an durch entfernte Schreie unterbrochen wurde   – und einmal wöchentlich durch das Baden. Selbst wenn man in die Hose gemacht hatte, musste man bis zum nächsten Mittwoch warten, denn gebadet wurde nur an diesem Tag. Während die Zimmer geputzt wurden, holten die Schwestern und Pfleger die Patienten aus ihren Käfigen heraus und stellten sie im Badezimmer nackt nebeinander, mit einem Wasserstrahl spritzten sie den angetrockneten Kot weg, so ähnlich werden dreckige Autos sauber gemacht, Andrejko war es peinlich, er schämte sich vor den Schwestern, die die Patienten nur mit Gummihandschuhen anfassten, sie mit spitzen Fingern einseiften und schrubbten, als wären sie räudig, er schämte sich vor den Patientinnen, alten Frauen und ganz jungen Mädchen, die splitternackt warten mussten, bis auch sie an die Reihe kamen   … und dann, wenn er wieder im Käfig lag, noch bevor er die nächste Pille bekam, dachte |207| er ans Gefängnis zurück, an die Hofgänge und an all die Diebe, Räuber und Mörder, die er immer mehr vermisste, denn selbst wenn sie manchmal mit ihm geschimpft hatten, so hatten sie wenigstens mit ihm gesprochen   …
    Erst nach mehreren Wochen, als der Dienstplan umgestellt worden war und die neuen Pfleger Andrejkos Pillen vergessen hatten, stellte sich heraus, dass der kleine Zigeuner auch ohne Medikamente ungefährlich war, nicht einmal Anfälle hatte er, sondern brabbelte lediglich sinnloses Zeug oder sang irgendwelche Lieder. Da gaben ihm die Krankenpfleger einen Morgenmantel und banden ihm eine Armbinde um, als Zeichen dafür, dass er weder einem anderen noch sich selbst etwas antun würde, und brachten ihn in einem anderen Gebäude unter.
    Seine Isolationszelle wurde frei.
     
    In Dobřany gab es nicht nur depressive Menschen, die sich die Pulsadern geöffnet hatten, oder Menschen, die in der Kantine mit Tischen um sich warfen und Stühle zerbrachen, nur weil ihnen die Suppe nicht schmeckte oder der Tee nicht heiß genug war. Dort fanden auch solche Zuflucht, die unter anderen Umständen einen großen Bogen um die Klapse gemacht hätten, sie tauchten dort unter, um sich dem Zugriff der Staatssicherheit zu entziehen oder um dem Militärdienst zu entgehen.
    Diese jungen Männer hatten keine

Weitere Kostenlose Bücher