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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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was ohnehin keiner versuchen würde, weil die Heizung noch nicht lief.
    Nur beim Hofgang konnten sie ein wenig frische Luft schnappen. Der Hof war von Betonwänden in enge Käfige |197| zerschnitten, und sogar über ihren Köpfen war Maschendraht gespannt, auch die Kälte war wieder da, diese eisige, grimme Kälte   … Aber der Hofgang, der sich schon lange vorher durch Schreie der Aufseher und knallende Türen ankündigte, wurde für Andrejko zu einer Art Fest, zu einem Lichtstreif am Horizont des in völliger Dunkelheit verbrachten Tages, er brauchte nur den Kopf in den Nacken zu legen, die Augen zu schließen, und das Gefängnis existierte nicht mehr, all die Drahtmaschen und die vor Kälte zitternden Schatten, die im Hof hin und her schlurften, waren verschwunden, und der Himmel wirkte plötzlich so nah, die Wolken schwebten über ihm, und Vögel flogen von Dach zu Dach, weit weg waren die Ermittler und ihre Beschimpfungen, ihre Fäuste und Gummischläuche, auch die dunklen, grün gestrichenen Gänge mit den eingeritzten Botschaften, die dort die Gefangenen mit ihren Fingernägeln und Knöpfen hinterließen, waren verschwunden, auch die schwachen, unter der Decke baumelnden Glühbirnen, der Schmerz und die Angst. All das war weg, und Andrejko lief wieder durch die Straßen von Petrohrad, streifte mit Marketa am Fluss entlang oder saß mit ihr schläfrig auf einer Parkbank und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
    Auf die blonde Marketa, seine Sonne, konzentrierte sich seine ganze Hoffnung, sie wurde für ihn zu einer Quelle in der Wüste, zu einer Flamme inmitten der Dunkelheit, zum Anker, der ihn mit der Welt hinter dem Stacheldraht verband. Nur wegen Marketa sorgte er sich, weil er seit seiner Verhaftung nichts von ihr gehört hatte, aber er tröstete sich damit, dass man sie nicht zu ihm ließ, er war sich sicher, dass man ihm ihre Briefe nicht aushändigte   … Marketa leuchtete und spendete Wärme, damit er den eiskalten Gefängnismauern und den schreienden Aufsehern widerstehen konnte, |198| den Aufsehern mit ihren dunklen Sonnenbrillen   … Solche Brillen mit schwarzen Gläsern hatten auch die Bullen beim Verhör getragen, auch Onkel Miro trug sie und die Erzieherin, die ihn damals in Kostelec seinen Zimmergenossen zum Fraß vorgeworfen hatte, hinter diesen Gläsern waren keine Augen zu sehen, es spiegelte sich in ihnen nur das eigene erschrockene Gesicht   …
     
    Eines Tages brachte man Andrejko in das Sprechzimmer und ließ ihn an einem schweren, mit Maschendraht geteilten Tisch Platz nehmen. Von der anderen Seite leuchtete ihm das strohblonde Haar seiner Marketa entgegen. Das Gespräch wurde von einem älteren Aufseher überwacht, einem müden Familienvater, die waren etwas vernünftiger als die jungen und beflissenen Hitzköpfe, die beim Filzen mit perverser Freude die ganze Zelle auf den Kopf stellten, um wegen Unordnung die Rationen verkleinern zu können   … Der Aufseher spielte mit seinem Schlagstock, und Marketa, mit verweinten Augen, starrte auf die Tischplatte, sie brauchte eine Weile, bis sie sprechen konnte, ganz leise redete sie davon, dass sie Andrejko immer noch liebe, aber dass sie besser vergessen sollten, was gewesen war. Schließlich fing sie an zu weinen. Andrejko wollte seine Tränen hinunterschlucken, doch da kullerten schon durchsichtige Perlen über seine Wangen und fielen auf die Zuchthausjacke und den mit Maschendraht geteilten Tisch, hinter dem Marketa schluchzte: Das hat der Doktor gesagt   … Mama weiß das schon, Papa bringt mich um   … ich muss es wegmachen lassen   … Andrejko kauerte sich auf dem Stuhl zusammen, er zitterte, konnte den Sinn von Marketas Worten nicht begreifen, er brauchte lange, um zu kapieren, was sie gesagt hatte, und dann krümmte er sich noch mehr zusammen, er bat sie, nichts zu überstürzen, |199| noch einmal darüber zu schlafen, er stotterte und versprach ihr das Blaue vom Himmel, aber es war vergeblich, seine Worte prallten am Maschendraht ab und seine Kehle zog sich zu. Er lief barfuß über glühende Kohlen, und in seinem Inneren zerbarst eine geschwungene Kristallvase, nur noch Splitter blieben übrig, schwere Züge donnerten durch seinen schmerzenden Schädel, und irgendwo tief in seinem geschundenen Körper verstummten die letzten klagenden Töne, der Sonnenschein verlosch, und es blieb nur noch Dunkelheit, die sich alles einverleibte, was er verzweifelt geliebt hatte.
    Die bewilligte Viertelstunde war vorüber. Die

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