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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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predigte er los:   … und genau in dem Augenblick trennt sich die Seele vom Körper und es kann einem alles gestohlen bleiben, weil in dem Moment kosmische Energie durch uns hindurchströmt und eine unglaubliche Kraft Besitz von uns ergreift   … Deswegen ist Gott Gott, weil er auch Schöpfer ist, und wenn er mit der Schöpfung zugange ist, ist er gleichzeitig auch ein Mensch, der das Licht bringt, auch wenn es nur eine einzige blöde Glühbirne sein sollte oder ein Streichholz   … Und im Zimmer wurden alle ganz still, und jeder erinnerte sich an die massive Spannung, die einen bis an den äußersten Punkt bringt, bis zu dieser schmalen Grenze, an der das Leben zerbricht, sie dachten an die heftigen Atemstöße eines entkräfteten Leibs, während die Seele bereits zu den Sternen fliegt   …
    Vašek war überhaupt ganz sonderbar. Er hatte keine Angst und verließ abends einfach die Anstalt. Mit Martin und Gregory oder auch allein kletterte er über den Zaun und machte sich auf in die Stadt, meistens kehrte er dort im »Blauen Stern« ein, um etwas frische Kneipenluft zu schnappen. Einmal erzählte er, wie ein Stammgast, ein gewisser Herr Sejkora, leidenschaftlicher Kaninchenzüchter, von den Männern am Tisch aufgezogen worden war, sie, seine Kumpel, wegen der Karnickel zu vernachlässigen. Sie hatten ihn gewarnt, er könnte von den Köteln und den feinen Härchen Kaninchenpest |211| bekommen, eine ganz schlimme und unheilbare Krankheit. Man erkenne sie an heftigen Kopfschmerzen, der Kopf scheine von innen zu explodieren, das Hirn werde nämlich flüssig und vergrößere sich, das nenne man Wasserkopf   … Aber Herr Sejkora glaubte ihnen nicht, er lachte sie aus und sagte, dass sie alle einen Knall hätten. Also nahmen sie eines Tages, als er auf der Toilette war, seinen Hut von der Garderobe und legten einen Draht unter die Krempe, den sie jeden Tag leicht mit der Zange zusammenzogen, täglich ein kleines Stückchen mehr, und Sejkora, der sich noch gestern den Hut bis zu den Augen hatte herunterziehen können, stellte fest, dass er immer kleiner wurde, dass er ihn nur noch in die Stirn schieben konnte. Der Hut saß jeden Tag höher und höher, und auf dem Weg nach Hause fühlte er, wie sein Kopf anschwoll und bald platzen würde wie ein zu stark aufgepumpter Ballon, und so schnappte er sich nach einer Woche Drahtbehandlung die Axt und schlug alle seine achtzig Kaninchen tot.
    Da hatten die Männer natürlich Angst, sagte Vašek, dem Sejkora von dem Draht zu erzählen, und sie nahmen also wieder die Zange, und jeden Abend machten sie sich aufs Neue über seinen Hut her, wenn er auf der Toilette war, diesmal jedoch schnürten sie ihn nicht enger, sondern lockerten den Draht, nicht auf einmal, aber jeden Tag ein Stückchen, und der Hut wanderte allmählich von Sejkoras Stirn bis zu seinen Augenbrauen   … Und dann war der Draht entfernt, und Sejkora trinkt weiterhin Bier mit ihnen und erzählt jedem, wie gut es ihm geht, seitdem er seine Kaninchen ins Jenseits befördert hat   …
    Auf der Station herrschte Langeweile, und so verlangte man auch von Andrejko, dass er etwas erzählte, schon weil niemand auf einen vergleichbaren Lebensweg zurückblicken konnte, obwohl auch die anderen zum Teil in den absonderlichsten |212| Verhältnissen gelebt hatten. Andrejko hatte das erlebt, wovon sie nur geredet, nachgedacht oder geträumt hatten. Keiner von ihnen war an einem Ort zur Welt gekommen, wo zwischen den Häusern kleine Bäche sprudeln, keiner war barfuß durch Schlamm gestapft, keiner war seiner Mama weggenommen worden und ans andere Ende der Welt verfrachtet und mit einem leeren Pappbecher in der Hand durch Bahnhöfe geschleppt worden, keiner war aus dem Kinderheim getürmt, und keiner hatte je in ein paar Metern Entfernung das Heulen der Wölfe gehört. Und keiner von ihnen war gegen eine Mauer gedrückt worden, keiner hatte je ein Messer gezückt und es gegen einen anderen Menschen erhoben   …
    Auch Gejza aus Rokycany hörte zu. Ihn hatte das Gericht in die Psychiatrie eingewiesen, weil er mit seiner kleinen Schwester Ilonka geschlafen hatte, und die Richter konnten sich lange nicht zwischen Gefängnis und ärztlicher Behandlung entscheiden, dabei verstand Gejza nicht einmal, was eigentlich vorgefallen sein sollte, zu Hause hatte schließlich jeder mit Ilonka geschlafen   … Gejza hörte Andrejko zu und sah sich selbst in einem Zug sitzen, hinter dem Bahnhöfe und Haltestellen wie kleine Glasperlen

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